Wir hatten eine Hausübung: Bibiana Beglau würde gerne über Zwischenwelten reden, wurde uns ausgerichtet. Aha und Fragezeichen. Was meint sie?

Anzeige
Anzeige

Die sexuellen Zwischenwelten? Die zwischen Leben und Tod? Ist nicht ein Interview, eine Fotoproduktion – wie jene, die Sie hier rund um den Text sehen – eine Zwischenwelt? Real ist das ja nicht, aber irgendwie schon. Man will ja nicht unvorbereitet zum Termin erscheinen, also denkt man nach, und das wird dann – Sie kennen das – immer schräger.

Dutzende Filme hat Bibiana Beglau gedreht. Sie hat nahezu alle großen Rollen des Theaters gespielt. Sie hat den Grimme-Preis bekommen und noch ein paar andere Preise dazu. Im Februar spielt sie „Nosferatu“ am Burgtheater. Regie wird Adena Jacobs führen, bekannt für ihre bildgewaltigen Inszenierungen; „Die Troerinnen“ war ihre letzte Arbeit fürs Burgtheater. Kritik und Publikum zeigten seltene Einigkeit: Applaus.

Wie im April 2022 ist auch Gerhild Steinbuch wieder mit dabei. Sie hat das „Nosferatu“-Buch verfasst.

Ja, wer bist denn du?

Es ist der vorletzte November-Tag, und wir warten am Lusterboden des Burgtheaters auf Bibiana Beglau. Vor allem Charaktere, die es aus dem Leben gefetzt hat, kann Beglau besonders gut. Intellektuell weiß man, dass Schauspieler nicht so sind wie ihre Rollen. Aber wer weiß, denkt man, wenn man so gut Grenzgängerinnen spielt, so an körperliche Grenzen gehen kann, vielleicht ist Beglau ja so? Die Tür geht auf, und da ist sie: die Locken übers halbe Gesicht, runde Brille, übergroßer Anzug. Die Mode-Optik: Bob Dylan trifft Laura Pergolizzi trifft Charlie Chaplin. Minuten später sitzt sie schon in der Maske und lächelt.

Wären ein paar Hunde oder Katzen im Raum anwesend gewesen, sie hätten sich friedlich in ihrer Nähe eingerollt. Auch für alle Nicht-Esoteriker: Bibiana Beglau hat eine gute Aura. Man will in ihrer Nähe verweilen. Keine Spur von irre.

Anzeige
Anzeige

„Ach, das mit den Zwischenwelten … Ich dachte mir, das Thema ist so breit aufgestellt, da wird uns schon was einfallen dazu. ‚Hausübung‘ hätte es aber keine werden sollen.“ Sie grinst. Humor hat sie also auch, und wir werfen die erste Seite unseres Fragenkatalogs weg.

Seit der Saison 2019/20 ist sie im Ensemble des Hauses. Allein im Jänner spielt sie im „Weiten Land“, in „Maria Stuart“ und eben die Premiere „Nosferatu“. Fürs Fernsehen hat sie unter anderem „Freiheit ist das Einzigste, was zählt“ abgedreht und fürs Kino „Wann kommst du meine Wunden küssen?“.

„Ich gebe normalerweise keine Interviews vorab“, sagt sie. „Dinge, die ich vor Premieren gesagt hatte, wurden in den Kritiken danach umgedreht.“

Schwupps. Der nächste Zettel mit Fragen landet im Müll.

Bibiana Beglau im Interview. „Uns fehlt das Denken einer Utopie für eine bessere Welt.“

Foto: Hilde van Mas

Ein Muss, weil sie es ist

Wie Beglau dann vor der Kamera unserer Fotografin Hilde van Mas das unsterbliche Zwischenwesen performt, zeigt: „Nosferatu“ wird man schon deshalb sehen müssen, weil Bibiana Beglau Nosferatu spielt.

Später startet unser Gespräch mit dem Thema Deutschland – Wien. Für Theatermenschen aus Deutschland ist Österreich mit seiner Theaterverrücktheit und Inbesitznahme von Kreativen und der damit verbundenen offen artikulierten Liebe und Ablehnung durchaus gewöhnungsbedürftig.

„Ich glaube, das große Talent von Peymann oder Schlingensief war, dass sie sich in Wien immer streitbar verhalten haben. Also, wenn du dich als Skandal begreifst und das kannst, ist das hier gut. Weil die Aggression, die dir hier entgegenschwappen kann, auch ein Teil des Spiels ist. Ich glaube, mit Strategie kommst du in Wien nicht weit, aber mit Streitbarkeit schon. Das Spiel – auch gegenüber der Kulturpolitik – ist, zu erkennen: Darfst du, oder darfst du nicht? Darfst du das, was du nicht darfst, dürfen, und wie weit darfst du dabei gehen?

Weil alles lassen sie sich auch nicht gefallen. Aber wenn es ein richtig guter Skandal ist, dann lässt man sich viel gefallen. Das ist ein Trick. Wenn man den beherrscht, dann ist man gut aufgehoben. Da ich nicht strategisch bin und auch nicht streitbar, bin ich eher vorsichtig. Ich bin für den österreichischen Geist zu naiv, zu offen und auch zu verwundbar. Mein Eindruck ist, dass es in Österreich eine Aggression gibt, die sich auch gegen sich selbst richtet. In Form von Selbsthass und Selbstbeschmutzung und auch Selbstbeweihräucherung. Deswegen schreiben die Österreicher auch so gut und drehen so wunderbare Filme.“

Aber spüren Sie nicht auch die Liebe des Publikums und auch der Presse?

Es ist spannend, wie rasant sich Liebe und Ablehnung abwechseln. Die Gegenwehr kann brutal sein, und man kriegt auch gleich mal – bildlich gesprochen – eine Bierflasche in die Fresse. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele zärtliche Berührungsmomente zwischen Publikum und uns Schauspielerinnen und Schauspielern. Letztens saß ich nach einer Matinee in der Kantine des Konzerthauses, und da sind ein paar Herrschaften zu meinem Tisch gekommen und haben unglaublich liebevolle Worte gesagt, die ganz tief und erst gemeinst waren. Das ist schon irre. Deswegen bin ich dann eher für Zwischenwelten (sie lacht trocken los) – um wieder auf das Thema zurückzukommen.

Ich halte mich lieber nicht dort und auch nicht dort auf, sondern versuche, zwischen dem Burgtheater und dem einfachen Leben mit sehr wenigen und sehr vorsichtigen Freundschaften zu sein. Ich habe hier zwei davon. Eine kannte ich schon von früher, und eine neue bahnt sich wunderbar an. Das sind Österreicher, Wiener, die sind hier aufgewachsen. Es ist schön, mit ihnen zu reden und die Stadt verstehen zu lernen.

Die Schauspielerin war Feuer und Flamme beim Covershooting für die BÜHNE.

Foto: Hilde van Mas

In Deutschland kommt man irgendwann immer zu dem Punkt, wo man ein Ja oder ein Nein kriegt. In Wien kriegst ein „Schau ma mal, dann seh ma schon“.

Rainer Werner Fassbinder hat einmal gesagt: Ungewissheit ist das Schlimmste, was dir passieren kann. – Österreich kann mit Ungewissheit ganz gut, der Deutsche wird wahnsinnig. (Lacht.)

Wie viel von Ihnen selbst steckt in Ihren Rollen?

Na ja. Menschen erzählen Geschichten meist aus Gründen. Wir alle haben Gründe, zum Beispiel wollen wir den guten oder den bösen König verführen, damit er sich verhalten muss, damit er gedrängt wird, Ja oder Nein zu sagen. Unser Beruf ist es, das zu tun – aber wir haben keine Gründe, wir haben eine künstlerische Absicht. Wenn wir unsere Arbeit richtig gut machen, dann sind wir das, was wir spielen, wir vertreten diese Haltung, diese Meinung. Das merkt man daran, wenn Schauspieler über ihre Rollen reden: „Richard III. war ein guter Mann – jaja, er war entsetzlich, aber er hatte ja Gründe.“ Da verteidigt dann der Schauspieler eine Zwischenwelt, die die seine geworden ist.

Nosferatu ist ja auch so ein Zwischenweltwesen. Ist er gut? Ist er böse? Er sucht Erlösung, beißt zu und nimmt damit seinem Opfer ebenfalls die Erlösung.

Was Nosferatu macht, das ist ein Griff ins Herz, in die Seele, und das ist ein fantastischer Wesenszug dieses fantasierten, uralten Wesens. Er ist wahnsinnig liebesfixiert, eifersüchtig, reist um Kontinente, um das lebende geliebte Wesen in seine Welt zu ziehen. Dafür braucht es mehr als nur einen hungrigen Biss. Er trinkt das Blut, um sich wirklich mit dem anderen zu verbinden, und zieht dann diese Person in seine Welt. Und der Mensch, der von Nosferatu begehrt wird, will die andere Seite sehen – den eigenen Tod anzugucken ist ja unser größtes Begehren, und es macht uns zugleich große Angst, unsere Gräueltaten zu sehen und den Blutdurst des menschlichen Geschlechts zu erkennen. Nosferatu ist eine getriebene Gestalt. Er kann nicht leben, nicht sterben. Wir Menschen lieben solche Figuren, auf die wir alles abladen können: das eigene Gewicht, unsere Verzweiflung, Einsamkeit, Liebe, Gier. Nosferatu will nicht töten, er begreift den Tod anders, er ist für ihn belanglos.

Haben Sie schon einmal getötet?

Ja. Eine Ente.

Dame in Leder: Bibiana Beglau spielt „Nosferatu“.

Foto: Hilde van Mas

Echt? Eine Ente?

Es war aus Mitleid. Die Ente lag auf einer Wiese und guckte mich an. Als ich sie aufhob, merkte ich, dass sie von unten bereits von Würmern ganz aufgefressen war. Ich hatte sie am Arm, und ich war voll mit diesen Würmern. Ich wusste: Das kannste nicht mehr flicken. Die Entscheidung war: Schlage ich ihr den Schädel ein, oder schaue ich zu, wie sie bei lebendigem Leib aufgefressen wird.

Sie sind aber auch lieb zu Tieren und füttern auch gern Kraken …

Ja. Es war bei einem Italienurlaub. Ich saß auf einem Felsen und beobachtete einen Kraken in seinem Bau unter mir und begann, ihn mit Muscheln und kleinen Sardellen zu füttern. Am dritten Tag fraß er mir dann aus der Hand. (Lacht.)

Eine letzte Frage, die ich immer wieder stelle: Welche Art von Denken fehlt in unserer Zeit?

Das Denken einer Utopie für eine bessere Welt. Ein Anfang wäre gemacht, wenn wir den Blick vom Ich auf das Du lenken würden.

Ein Anruf bei der Autorin

Zurück zum Stück. „Nosferatu“ am Burgtheater basiert auf Bram Stokers „Dracula“ und auf dem Stummfilmklassiker „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ aus dem Jahr 1922.

Geschrieben hat das Stück Gerhild Steinbuch. Sie ist Leiterin des Instituts für Sprachkunst an der Angewandten in Wien und zudem eine begnadete Schriftstellerin. Weil wir wissen wollen, wie sie das Stück interpretieren wird, rufen wir sie an und fragen nach: „Mich hat die Verhandlung des Monströsen interessiert. Was wird eigentlich als monströs gelesen? Wem wird das Monströse zugeschrieben? Mit welchen Rechtfertigungsstrategien ist das verbunden, und was sagt das über eine Gesellschaft aus? In Bram Stokers Roman ist klar, wer gut und wer böse ist. Wir haben uns sehr intensiv mit der Frage beschäftigt, was andere Seiten dieser Figuren sind, und wir haben versucht, eine eigene Leseart zu finden – auch wie das Monströse markiert wird.“ Und wie aktuell wird das Stück? Steinbuch: „Die Arbeiten von Adena Jacobs haben ja eine große Gegenwärtigkeit, ohne dass die Gegenwart eins zu eins auf der Bühne steht.“

Zur Person: Gerhild Steinbuch, Autorin

Studierte szenisches Schreiben in Graz und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sie schreibt Texte für Sprech- und Musiktheater, Essays, Hörspiele und Prosa und arbeitet zudem als freie Dramaturgin. Außerdem leitet sie gemeinsam mit Monika Rinck das Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst Wien.

Never change a winning team

Die Regisseurin setzt im Übrigen auf Sylvie Rohrer als Harper (eigentlich die wahre Hauptrolle) sowie Lilith Häßle, Sabine Haupt und Safira Robens, die alle bereits bei den „Troerinnen“ mit Adena Jacobs erfolgreich gearbeitet haben.