Einmal hatte ich das Glück, in der Kantine des Akademietheaters neben ihr zu sitzen zu kommen. Hätte sie gewusst, dass ich Journalistin bin, wäre sie davongestoben. So sang mir die Dene bei ihrem „Bierchen“ zwei, drei Nationalhymnen vor (die japanische gefiel ihr besonders), die während der Fußball-WM ihren Gefallen gefunden hatten. Sie sprach von sich in der dritten Person als „Hilde“ und ließ auch mehrmals den legendären Satz aus dem Stück „Ritter, Dene, Voss“ ab: „Ihr habt euch malen lassen / von einem dieser Rolls-Royce-Fahrer?“ 

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Auf einem Zettel, der an der Wand seiner Küche hing, hatte Thomas Bernhard geschrieben: „Für Ritter, Dene, Voss ein Stück schreiben. Drei intelligente Schauspieler". So bekam es der 2014 verstorbene Gert Voss von Regisseur Claus Peymann kolportiert, wie er in seinen anlässlich des 80. Geburtstags wie­der aufgelegten Erinnerungen „Ich bin kein Papagei“ (Amalthea Verlag) erzählte. Peymann nannte die Dene „ein echtes Genie, die kann Ihnen jeden japa­nischen Zierfisch nachspielen“. 

So unsentimental wie möglich

Voss endete seine Memoiren in freudiger Erwartung. Er bereitete sich 2011 gerade für Shakespeares „Maß für Maß“ an der Berliner Schaubühne (unter Hartmann gab es keine Angebote) vor und zeigt sich, wie alle Großen, auch von Selbstzweifeln geplagt. „Ob ich wohl hinter das Geheimnis kommen werde? Mit diesen Fragen werde ich in See stechen (…), die Lust und Kühnheit in der Probe suchen …“

Das letzte Kapitel schrieb seine Tochter Grischka jetzt sieben Jahre nach dem Tod des Verwandlungsgiganten „so unsentimental wie möglich, genau so, wie mein Vater eben war“. Gert Voss vibrierte noch während seines letzten Spitalsaufenthalts vor Plänen, wie sein Kollege Roland Koch bei einem Besuch erlebte. „Er betrachtete selbst sein Spitalsbett als Bühne und war überzeugt, dass er bald wieder rauskommen werde. Es sollte leider nicht mehr dazu kommen."

Kirsten Dene, seine kongeniale Partnerin in legendären Peymann-Inszenierungen wie „Richard III.“, Kleists „Hermannsschlacht“ und eben „Ritter, Dene, Voss“, ist einfach verschwunden. 

„Ich will noch ein bisschen leben"

Es geschah ohne Festakte und den ganzen Firle­fanz. Und noch immer ist man der festen Über­zeugung, dass beide demnächst aus der Nullergasse auf die Bühne des Burgtheaters stechen müssten, wo sie einen so lange begeistert/verwirrt/irritiert/fasziniert haben und auf diesem schmalen Grat zwischen Komik und Tragödie am Abgrund entlangtänzelten. Mit der selben unaufgeregten Konsequenz, mit der die Dene sich den Medien in ihrer über 30-jährigen Burgtheater-Karriere („Nee, Kindchen, wirklich nicht …“) entzogen hatte, ist sie entschwebt.

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Hilde geht jetzt hurtigruten war ein stehender Spruch in der Theaterkantine.

Die wenigsten Medien haben ihren Abgang wahrgenommen. Nach einem Krankheitsschlag soll der Arzt sie vor einiger Zeit in der Reha gefragt haben: „Was ist Ihr nächstes Ziel?“ Und sie antwortete, wahrscheinlich in ihrem unvergleichlichem Alt-Timbre: „Ich will noch ein bisschen leben.“

Sie liebte es zu reisen, besonders gerne Kreuzschifffahrten in den norwegischen Fjorden: „Hilde geht jetzt hurtigruten“ war ein stehender Spruch in der Theaterkantine. Gutes Reisen, Madame Dene! Von Gert Voss bleiben wenigstens Memoiren, von Dene nur Erinnerungen. „Das ist Teil unseres Job“, sagt Koch, „auch begreifen zu lernen: Du bist die Erinnerung.“

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).