Da schnellen selbst die sonst auf Begeisterungsdurchschnittstemperatur gesetzten Berliner wild applaudierend aus ihren unbequemen Stühlen hoch. Nach fast zwei Stunden im Alleingang, in denen Stefanie Reinsperger den emotionalen Wellengang eines monomanischen Poltermimen, der mit seiner Provinztruppe durch das weite Land der Wirtshaussäle zieht, in allen Facetten ihres Könnens vorgeführt hat, ist man nichts anderes als geplättet. Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ in Oliver Reeses etwas biederer Inszenierung (was in dem Fall völlig egal ist) ist ein verlässlicher Publikumshit am Berliner Ensemble und quasi das Abschiedsgeschenk des langjährigen Ensemblemitglieds „Reinspergerin“ an ihre Fans.

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Es gibt sie, diese Momente in einem Theaterkonsumentenleben, wo aus der Wolke der erstklassigen Mimen plötzlich jemand so herausragt, dass einem klar wird: Diese Art von Talent kommt im besten Fall einmal in einem Jahrzehnt daher. Als die Minichmayr als Puck vor gut 23 Jahren über die Seewiese in Altaussee in einer „Sommernachtstraum“-Produktion ihres Seminarlehrers Klaus Maria Brandauer bretterte, da wusste man, dass man da jemanden mit einem einzigartigen Bühnencharisma vorbeihuschen sah. Und selten hat jemand mit so einer scheinbaren Mühelosigkeit die Innenwelt eines von der Spur Gerückten so erfahrbar gemacht wie Joachim Meyerhoff in der Thomas-Melle-Dramatisierung „Die Welt im Rücken“.

Manche brauchen etwas länger zu ihrer vollen Entfaltung – wie Michael Maertens, der sich zurzeit auf der Höhe seines Könnens befindet, aber einst, also in seinen ersten Wiener Jahren, als Hamlet oder Anatol nicht so zündete. Was für ein Geschenk, ihn jetzt gemeinsam mit Roland Koch als kongenialem Partner in „Der einsame Westen“ im Akademietheater durch den Karst erbärmlicher Männlichkeit schürfen zu sehen.

Dass die Reinspergerin (so nennt sie sich auf Instagram) jetzt wieder an die Burg kommt, badet einen in Vorfreude. Ihr Debüt als Liliom in der Regie von Philipp Stölzl entspricht insofern einem gewissen Zeitgeist, als dass aktuell gerne geschlechtsdurchlässig besetzt wird. Das Theater hat seine Trendwellen: Nach der Stückzertrümmerung kamen die Videowalls, und neuerdings wird gerne Gender-Crossover bei der Besetzung betrieben.

„Was ist das Motiv?“, fragen TV-Kommissare gern, und man könnte etwas boshaft behaupten: dem Zeitgeist hinterherzuhecheln und auf den Woke-Wagen aufzuspringen; und ein bisschen die Waage der Gerechtigkeit ins Lot zu bringen, denn es gibt noch immer ungefähr vier Mal mehr gute Männerrollen im Repertoire als Frauenfiguren.

Im Fall von Molnárs „Hutschenschleuderer“ eine geniale Idee, denn es gibt kaum jemanden mit mehr Sinn für die Niederungen der österreichischen Seele und deren komische Auswüchse wie die Reinspergerin, das war nachzusehen im Berliner „Theatermacher“. Und möglicherweise werfen mir jetzt die bundesdeutschen Mitbürger eine Art Theaterrassismus oder Piefke-Bashing vor, aber es ist einmal auch ein wohltuender Gedanke, dass ein zutiefst österreichisches Stück mit zutiefst österreichischen Schauspieler:innen besetzt wird, unter anderem echte Juwele wie Maresi Riegner, Sebastian Wendelin und die wunderbare Franziska Hackl, die als Frau Muskát aus München ans Haus am Ring zurückkehrt. Ihr Vater Karlheinz Hackl war bislang der ungekrönte Weltmeister unter allen Lilioms, die an der Burg ihr patschertes Leben durchleiden mussten. Das wird man doch noch sagen dürfen.

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