Jedermanns Juden: Jüdisches Museum beleuchtet Geschichte der Salzburger Festspiele
Das Jüdische Museum zeichnet in „Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele“ die Lebenswege, Karrieren und Fluchtwege von Künstler:innen der Salzburger Festspiele nach. Im Zentrum der Ausstellung stehen einige noch nie gezeigte Objekte aus dem Nachlass von Max Reinhardt.
Die Plakate waren schon fertig gedruckt im 38er-Jahr. Angekündigt werden Max Reinhardt, Bruno Walter und Arturo Toscanini. Aber sie alle waren nicht mehr da. Als jüdische Künstler waren sie längst ins Ausland geflüchtet. So schnell konnten die Nationalsozialisten gar nicht umplanen. Am Neudruck standen gar keine Namen. Diese Dokumente aus dem Archiv der Salzburger Festspiele sind in der Wiener Dorotheergasse zu sehen. Das Jüdische Museum holt in der Ausstellung „Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele“ eine Vielzahl jüdischer Talente, die am Erfolg entscheidend beteiligt gewesen waren, vor den Vorhang.
Karrieren und Fluchtwege
Die Schau ist zeithistorisch wie künstlerisch spannend. Noch nie gezeigten Objekten aus dem Nachlass Max Reinhardts, Gemälde, Handschriften, Filmausschnitte, Karikature, Kostümentwürfe und Bühnenmodelle skizzieren den Aufstieg der Festspiele. Und sie beleuchten die Lebenswege der verschiedenen handelnden Personen, ihre Karrieren und Fluchtwege.
Berta Zuckerkandl – Netzwerkerin für die Festspiele
Am Beginn des 100-jährigen Erfolgs steht neben Reinhardt der Mitbegründer Hugo von Hofmannsthal. Nicht viele wissen, dass auch die Netzwerkerin und Kulturjournalistin Berta Zuckerkandl ihre Finger im Spiel hatte. In ihrem Salon wurde die Idee geboren und damit die Stadt für die Sommerwochen zur Bühne und Salzburg zum Inbegriff für innovatives Theater auf Freiluftbühnen. Besonders Tanz drückte die avantgardistische Seite im grundsätzlich katholisch-barocken Ambiente aus. Eine Schlüsselrolle spielte in diesem Metier zum Beispiel Margarete Wallmann. Sie war Ballettchefin an der Staatsoper, und nach der Flucht und dem Krieg, eine der ersten Frauen, die Opern inszenierte.
Neben ihr trugen viele andere jüdische Künstlerinnen und Künstler bis zur Machtübernahme des NS-Regimes 1938 zu aufsehenerregenden Aufführungen bei. Und auch rundherum: Der jüdische Karikaturist Fred Doblin hat den Schauspieler Oskar Homolka in seiner Rolle als „Mammon" im Jedermann 1926 gezeichnet. Anton Kolig entwarf einen Wandteppich, der heute den Konferenzsaal ziert. Eine Schwarz-Weißfotografie zeigt ihn über dem rustikalen Holzbalkon im Festspielhaus hängend. Oskar Strnad erdachte innovative Bühnenbilder. Der „Sommernachtstraum“ 1927 überraschte mit einer Drehbühne.
„Das konnten die Nazis überhaupt nicht leiden"
Eigentlich hätte „Das Große Salzburger Welttheater" eröffnen sollen, aber das Stück war 1920 noch nicht fertig. Deswegen griff man auf die weit ältere Jedermann-Inszenierung zurück. Mit den Kostümen aus dem Burgtheater. In der Titelrolle war bis 1931 der prominente Schauspieler Alexander Moissi zu sehen. Er stammte aus einer albanischen Familie und war römisch-katholisch getauft worden. „Er war ein bisschen androgyn, hatte eine hohe Stimme und gab sich manchmal wie eine Frau. Das konnten die Nazis überhaupt nicht leiden", erläutert Marcus G. Patka, der gemeinsam mit Sabine Fellner die Ausstellung kuratiert hat. An Moissis Seite finden sich in den Besetzungslisten die Namen jüdischer Künstlerinnen und Künstler, wie etwa Frieda und Fritz Richard sowie Emil Rameau, ebenso wie später der NS-Schauspiel-Elite angehörende Kolleginnen und Kollegen etwa Heinrich George, Werner Krauß und Hedwig Bleibtreu.
Nach der Fertigstellung des Festspielhauses 1925 konnten recht opulente Operninszenierungen realisiert werden. Die berühmten jüdischen Stimmen an der Oper waren weiblich: Rosette Anday, Claire Born, Elisabeth Schumann gehörten zu den Stars ihrer Zeit.
„Jedermann" wird in Salzburg zum „smash hit"
„Jedermann“ wurde 1911 in Berlin uraufgeführt, aber hat es dort nur auf 16 Vorstellungen gebracht. In Salzburg wird es ein „smash hit“. Selbiges gilt für Goethes Faust 1. 1933 hatte Clemens Holzmeister dafür die legendäre „Faust-Stadt" gebaut. Eine Baumscheibe der in der Felsenreitschule gepflanzten „Faust-Linde" liegt jetzt in der Vitrine des Jüdischen Museums.
Die Stückauswahl ist kein Zufall. Nazi-Deutschland war extrem gegen die Festspiele als Symbol für das Barocke, Katholische sowie die Eigenstaatlichkeit Österreichs. Die Österreicher wollten sich Goethe aber nicht verbieten lassen. Ab 1933 brachte Arturo Toscanini quasi als Protest aus Deutschland Wagner mit und zeigte: Ihr habt kein Monopol auf Wagner! Der Begriff „Festspiele“ war da schon für Bayreuth reserviert. Wer genau schaut, entdeckt, das die Eintrittskarte von 1933 für das „Theater- und Musiksommer" ausgestellt ist. Es war auch das Jahr in dem alle Juden und Jüdinnen aus Bayreuth verschwinden mussten.
Bücherverbrennung am Residenzplatz
So gut wie alle Darsteller kannte Max Reinhardt schon aus früherer Zusammenarbeit. Etwa Emil Rameau, der in den ersten Jahren den Schuldknecht im „Jedermann" verkörperte. Oder Richard Metzl, Lili Darvas, Josef Danegger und Max Pallenberg. Zu nennen ist auch Marianne Walla, die 1930 bis 1937 die Guten Werke darstellte. Fritz Feld debütierte 1920 unter Reinhardt und war jahrelang dessen Regieassistent, 1922 trat er als Schauspieler in „Das Salzburger Große Welttheater" auf. Auch der bekannte Schriftsteller, Kabarettist und Regisseur Egon Friedell arbeitete schon vor dem Ersten Weltkrieg mit Reinhardt. Er hatte 1923 einen Auftritt in „Der eingebildete Kranke". Der NS-Terror kostete ihm das Leben: Aus Furcht vor einer Verhaftung durch die SA beging er Suizid.
Eineinhalb Monate später, am 30. April 1938 fand am Salzburger Residenzplatz die einzige Bücherverbrennung in der Geschichte Österreichs statt. Die Flugzettel für die Bewerbung dieser Veranstaltung hatte der Ausstellungskurator aus Polizeiakten herausgefischt. Gefunden hat er auch eine Liste der 32 Wohnungen von Juden, die enteignet wurden.
Max Reinhardt in den USA
Thema sind auch nicht-jüdische Künstler, die von Nazis umworben wurden, und auswanderten, weil sie den Nationalsozialismus und ihre Gräuel ablehnten. Dazu zählen etwa Lotte Lehmann, die nach New York ging. Gegenteilig verhielt sich Richard Eibner: Entdeckt von Max Reinhardt ging er 1930 nach Berlin, wurde NSDAP-Mitglied und machte dann in Österreich Karriere. In einem Ölgemälde ließ er sich – sichtlich wohlhabend – festhalten lassen. Es stammt aus 1940, als sich nicht viele Menschen ein Porträt leisten konnten. Vom selben Jahr gibt es eine Fotografie, die Max Reinhardt zeigt: Er blickt auf Los Angeles. Österreich hat er den Rücken zugewandt.
„Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele“ ist von 14. Juli 2021 bis 21. November 2021 im Jüdischen Museum Wien zu sehen.
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