Wiener Staatsoper
Faust
Die Tenorarie »Salut, demeure chaste et pure« (»Sei mir gegrüßt, keusche und reine Behausung«) ist beispielhaft für Charles Gounods Umgang mit Johann Wolfgang von Goethes Tragödie: Einerseits lehnt sich der Text fast wörtlich an die Vorlage an, andererseits fügt die Musik so viel schmachtendes Gefühl hinzu, dass es manchem Gralshüter der deutschen Kultur des sinnlichen Raffinements zu viel wurde: Während Faust die »unschuldige und göttliche Seele« der abwesenden Marguerite besingt, schmiegt sich die Solovioline wie eine Duettpartnerin an seine Melodie. Und »die Melodie ist entzückend«, befand selbst der Gounod-Skeptiker Hector Berlioz in seiner Uraufführungskritik: »Man hat wohl applaudiert, aber nicht genug, die Arie verdiente den hundertfachen Beifall.«
Freilich, andere französische Faust-Bearbeitungen des 19. Jahrhunderts hätten den deutschen Gralshütern noch weit mehr Anlass zum Ärgernis geboten: In zahlreichen derb-komischen Szenen schickten sie Faust und Mephisto nicht nur in den Harz, sondern bis zum Vesuv oder sogar nach Indien. Gounods 1859 in Paris uraufgeführte Oper hält sich dagegen verhältnismäßig eng an Goethes Vorlage, verzichtet aber auf viele Figuren und Szenen und setzt eigene Schwerpunkte: Den alten Faust quält weniger die Frage, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, als die Sehnsucht nach Liebe und Jugend. Méphistophélès, weniger intellektuelles »Prinzip der Negation« als teuflisch attraktiver Magier, macht ihn auf Marguerite aufmerksam – und Faust ist begeistert. Rasch steht ein Deal: Der Teufel dient Faust auf Erden, nach Fausts Tod soll es umgekehrt sein. Auch Marguerite bleibt nicht unbeeindruckt von dem, was Méphistophélès zu bieten hat: materiellen Luxus und sinnliches Vergnügen, von Gounod häufig mit einem Walzer musikalisch illustriert. Aber das Verhältnis von Faust und Marguerite bleibt Episode, denn Faust zieht es zu neuen Attraktionen, während Marguerite zunächst schwanger zurückbleibt, um dann auch noch zu erleben, wie ihr treuloser Liebhaber ihren Bruder tötet.
Gounods mephistophelisches Prinzip der Verführung zur Sinnlichkeit war auch bei der Überlieferung dieser Oper wirksam: Schon vor der Premiere war rund ein Drittel des geplanten Textes gestrichen worden. Bereits komponierte und wieder verworfene Nummern gingen verloren oder landeten auf verschlungenen Wegen auf Dachböden, um dort nach über 100 Jahren wieder entdeckt zu werden. Inzwischen schuf sich der internationale Opern-betrieb seine eigene Werkgestalt, ein Prozess, in dem sinnliche Melodien und klangvolle Chöre über jeden intellektuellen Zweifel obsiegten. Als erfahrener Kirchenmusiker präsentiert sich Gounod in der Szene im Münster, die das optimistische Ende der Oper musikalisch vorwegnimmt: Marguerite, die für ihre Liebe alles aufs Spiel setzte und verlor, wird vor ewiger Verdammnis gerettet.
Frank Castorf, der als wohl einflussreichster Regisseur der letzten Dekaden das Theater weltweit verändert hat, entfaltet in seiner Inszenierung eine vielfach geschichtete Geschichte: Das Paris der Uraufführungszeit trifft auf das Paris um 1960, in dem Konflikte kulminierten, die in der hochkapitalistischen und kolonialistischen Zeit Gounods ihren Ausgangspunkt hatten und zugleich zu den Krisen unserer europäischen Gegenwart führten: Im Bühnenbild von Aleksandar Denić sind es von Notre Dame bis zur Metrostation »Stalingrad« nur ein paar Schritte. Die opulenten Kostüme von Adriana Braga Peretzki nehmen Bezug auf verschiedene Zeiten, Milieus und Kulturen. Während man den Librettisten Michel Carré und Jules Barbier durchaus zu Recht vorwerfen kann, Goethes »Welttheater« erheblich vereinfacht zu haben, fügt das Regieteam dem Werk durch die Vielzahl von Verweisen eine neue Komplexität hinzu. So hat der philosophische »Geist, der stets verneint« in der Oper selbst zwar keinen Auftritt mehr, doch umso machtvoller hat er in ihrem Inszenierungsprozess gewirkt: »Ich bin für die Irritation, das mephistophelische Prinzip der Verneinung, ohne zu sagen für wen, warum und wieso«, hat Castorf in einem Gespräch einmal bekannt.
Diese Produktion wird gefördert von
Ein Besuch der Vorstellung wird ab 14 Jahren empfohlen.
Freilich, andere französische Faust-Bearbeitungen des 19. Jahrhunderts hätten den deutschen Gralshütern noch weit mehr Anlass zum Ärgernis geboten: In zahlreichen derb-komischen Szenen schickten sie Faust und Mephisto nicht nur in den Harz, sondern bis zum Vesuv oder sogar nach Indien. Gounods 1859 in Paris uraufgeführte Oper hält sich dagegen verhältnismäßig eng an Goethes Vorlage, verzichtet aber auf viele Figuren und Szenen und setzt eigene Schwerpunkte: Den alten Faust quält weniger die Frage, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, als die Sehnsucht nach Liebe und Jugend. Méphistophélès, weniger intellektuelles »Prinzip der Negation« als teuflisch attraktiver Magier, macht ihn auf Marguerite aufmerksam – und Faust ist begeistert. Rasch steht ein Deal: Der Teufel dient Faust auf Erden, nach Fausts Tod soll es umgekehrt sein. Auch Marguerite bleibt nicht unbeeindruckt von dem, was Méphistophélès zu bieten hat: materiellen Luxus und sinnliches Vergnügen, von Gounod häufig mit einem Walzer musikalisch illustriert. Aber das Verhältnis von Faust und Marguerite bleibt Episode, denn Faust zieht es zu neuen Attraktionen, während Marguerite zunächst schwanger zurückbleibt, um dann auch noch zu erleben, wie ihr treuloser Liebhaber ihren Bruder tötet.
Gounods mephistophelisches Prinzip der Verführung zur Sinnlichkeit war auch bei der Überlieferung dieser Oper wirksam: Schon vor der Premiere war rund ein Drittel des geplanten Textes gestrichen worden. Bereits komponierte und wieder verworfene Nummern gingen verloren oder landeten auf verschlungenen Wegen auf Dachböden, um dort nach über 100 Jahren wieder entdeckt zu werden. Inzwischen schuf sich der internationale Opern-betrieb seine eigene Werkgestalt, ein Prozess, in dem sinnliche Melodien und klangvolle Chöre über jeden intellektuellen Zweifel obsiegten. Als erfahrener Kirchenmusiker präsentiert sich Gounod in der Szene im Münster, die das optimistische Ende der Oper musikalisch vorwegnimmt: Marguerite, die für ihre Liebe alles aufs Spiel setzte und verlor, wird vor ewiger Verdammnis gerettet.
Frank Castorf, der als wohl einflussreichster Regisseur der letzten Dekaden das Theater weltweit verändert hat, entfaltet in seiner Inszenierung eine vielfach geschichtete Geschichte: Das Paris der Uraufführungszeit trifft auf das Paris um 1960, in dem Konflikte kulminierten, die in der hochkapitalistischen und kolonialistischen Zeit Gounods ihren Ausgangspunkt hatten und zugleich zu den Krisen unserer europäischen Gegenwart führten: Im Bühnenbild von Aleksandar Denić sind es von Notre Dame bis zur Metrostation »Stalingrad« nur ein paar Schritte. Die opulenten Kostüme von Adriana Braga Peretzki nehmen Bezug auf verschiedene Zeiten, Milieus und Kulturen. Während man den Librettisten Michel Carré und Jules Barbier durchaus zu Recht vorwerfen kann, Goethes »Welttheater« erheblich vereinfacht zu haben, fügt das Regieteam dem Werk durch die Vielzahl von Verweisen eine neue Komplexität hinzu. So hat der philosophische »Geist, der stets verneint« in der Oper selbst zwar keinen Auftritt mehr, doch umso machtvoller hat er in ihrem Inszenierungsprozess gewirkt: »Ich bin für die Irritation, das mephistophelische Prinzip der Verneinung, ohne zu sagen für wen, warum und wieso«, hat Castorf in einem Gespräch einmal bekannt.
Diese Produktion wird gefördert von
Ein Besuch der Vorstellung wird ab 14 Jahren empfohlen.
SchauspielerInnen
- Doktor Faust
- Piotr Beczala
- Marguerite
- Nicole Car
- Méphistophélès
- Adam Palka
- Valentin
- Stefan Astakhov
- Wagner
- Jusung Gabriel Park
- Siébel
- Patricia Nolz
- Marthe
- Monika Bohinec
Künstlerisches Team
- Musikalische Leitung
- Bertrand de Billy
- Inszenierung
- Frank Castorf
- Bühne
- Aleksandar Denić
- Kostüme
- Adriana Braga Peretzki
- Licht
- Lothar Baumgarte
- Regieassistenz
- Wolfgang Gruber
- Videoregie
- Martin Andersson
- Kamera/Bildgestaltung
- Tobias Dusche
- Daniel Keller
- Dramaturgie
- Ann-Christine Mecke