Das können nur ganz wenige: den Mund beim Reden nicht weit aufmachen, und trotzdem hört man jede Nuance, jedes Wort. Johannes Krisch sitzt auf einem Stuhl in der Probebühne der Josefstadt, hat seinen Kostümmantel an. Über ihm und hinter ihm Benzinfässer, und er krischt vor sich hin.

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Es ist einer dieser Tage, an die wir uns heute nur mehr voller Sehnsucht erinnern: Die Stadt glüht, der Probensaal nicht.

Krisch ist Gottlieb Biedermann, der tatenlos zusieht, wie Brandstifter das Abfackeln seines reichen Bürgerhauses vorbereiten, und ihnen auch noch die Zündhölzer gibt, um ihren Plan erfolgreich zu beenden. Seit 1958 – mit Uraufführung in Zürich – warnt das „Lehrstück ohne Lehre“, wie Max Frisch im Untertitel ein bisserl hinterfotzig anmerkte. War es sinnlos? Johannes Krisch setzt sich mit uns in einer Probenpause in den Nachbarraum.

„Es hat sich seit damals in der Bieder­keit der Menschen nichts geändert. Jeder bleibt und lebt in seiner Welt, und daraus entsteht ein Opportunismus, dieses Seine-­Meinung-nicht-Vertreten. Da hat sich nichts geändert.“ Warum lernen wir nicht dazu? Sind wir zu blöd dafür? Krisch lächelt und zuckt mit den Schultern. „Ach“, sagt er, „das war schon in der Steinzeit so, da hat der Frisch das Stück nur noch nicht geschrieben gehabt. Es waren immer welche da, die angezündet haben. Man will seine Komfortzone nicht verlassen und nur an sich selber denken – man braucht sich nur die politischen Parteien in Österreich anzuschauen.“

Das sagt die Regisseurin

Dass Regisseurin Stephanie Mohr Krisch als Biedermann besetzt hat und nicht als Brandstifter, verwundert im ersten kurzen Hinschauen auf den Besetzungszettel. „Krisch ist jemand, an den sich das Publikum anhängt. Er ist ein Volksschauspieler im besten Sinne. Bei ihm haben die Menschen das Gefühl: ‚Ah, das bin ich auch.‘ Es wäre nicht zielführend, wenn hier jemand auf der Bühne steht, bei dem die Menschen sagen: ‚Ja, eh. Aber das geht mich nichts an.‘“

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Stephanie Mohr
Stephanie Mohr führt Regie.

Foto: Lukas Gansterer

Zeitlos im Jetzt 

Zeitlos wird Mohr das Stück in der Josef­stadt auf die Bühne bringen. „Es gibt den aktuellen politischen Aspekt, dass sich rechtsextremes Gedankengut komplett in den Vordergrund gespielt hat und salonfähig wurde und dass das, was wir an Demokratie und Miteinander aufgebaut haben, angezündet wird. Dazu kommt das Damoklesschwert der Klimakrise. Die beiden Themen möchte ich verbinden, vor allem bei Letzterem klammern wir uns ja auch an unsere Benzinfässer und das Pflegen von Gewohnheiten, die uns Kopf und Kragen kosten werden.“

Bevor wir zur Probebühne zurückgehen, setzen wir uns mit Stephanie Mohr in eine Ecke der nahegelegenen Aida-­Filiale.

Natürlich ist „Biedermann“ das Stück zur Zeit, das wissen auch andere Theater und haben es auf ihre Spielpläne gesetzt. Wird der Druck dadurch größer?

„Man hat natürlich immer ein wenig die Sorge, dass man das ähnlich macht oder ähnlich denkt. Das Schwierige ist, sich schlauzumachen, was schon gemacht wurde. Andererseits versuche ich, nicht zu viel zu sehen und zu lesen, damit ich dann in meinen Gedanken nicht zumache. Es ist eine Sisyphus-­Geschichte. Ein Stück, das nicht in Kategorien denkt, in dem es auch keinen moralischen Zeigefinger gibt. Es spielt mit der größten Tarnung, die es gibt: der Wahrheit – und genau mit der wird ja in den vergangenen Jahren anders umgegangen als je zuvor. Schauen wir uns die Geschichte an: Nie halten Diktatoren im Vorfeld mit dem, was sie vorhaben, hinter dem Berg. Es ist immer alles gesagt.“

Aber warum sind wir dann – es ist eine Wiederholung, Sie verzeihen – so blöd? Stephanie Mohr: „Es ist vermutlich eine Art Stockholm-Syndrom. Menschen haben Angst um ihre Existenz und schlagen sich ‚sicherheitshalber‘ auf die Seite des brutalen vermeintlich Stärkeren mit den einfachen Antworten: Sie haben das Gefühl, dann kann ihnen nichts passieren, es passiert den anderen.“

Dominic Oley  Brandstifter
Dominic Oley als Brandstifter.

Foto: Lukas Gansterer

Die Frage des Zeitpunkts

Dem großen Hollywood-Export Billy Wilder wird der Satz „Die Optimisten kamen nach Auschwitz, die Pessimisten nach Beverly Hills“ zugeschrieben. Bedeutet – und das ist auch eine der Schlüsselfragen des Stücks: Wann weiß man, dass es Zeit wäre, etwas zu tun, damit das Feuer einem nicht die Existenz über dem Kopf wegbrennt? Stephanie Mohrs Antwort: „Na ja, wenn ich nichts tue, was ist denn dann die Zukunft? Wie lebe ich? In welchem Kontext lebe ich?“

Es gibt auch noch die Variante zu erwähnen: Vielleicht brennt ja nicht mein Haus, sondern das des Nachbarn. Stephanie Mohr: „Das ist das Festhalten am Individuellen. Aber wo fängt denn der Nachbar an? Ich hoffe sehr, dass Theater da etwas bewirkt. Das Publikum sitzt ja nicht da und denkt sich: ‚Ach ja, mein ganzes Leben war falsch.‘ Man kann die Menschen anstechen, interessieren für eine Fragestellung.“

Robert Joseph Bartl  Brandstifter
Robert Joseph Bartl als Brandstifter.

Foto: Lukas Gansterer

Verdränger Mensch

Robert Joseph Bartl, der einen der Brandstifter spielt, ist es, der diesmal nickt. „Das Besondere ist, dass ich einen sehr brutalen Menschen spiele, der wahnsinnig komisch ist. Die Rolle ist ein Geschenk für einen Komiker, weil sie so böse ist. Ich muss in letzter Zeit sehr oft an Angela Merkel denken – die ich oft bewundert habe – und ihren sowie unseren Umgang mit Putin nach der Besetzung der Krim. Putin hat ja alles angekündigt, was er als Nächstes machen wird – es ist, als hätte der das Stück vor dem Ukraine-­Krieg noch einmal durchgelesen. Das macht mich nachdenklich, traurig und auch hoffnungslos. Der Mensch ist ein ziemlicher Verdränger, auch um weiterleben zu können. Das kennen wir, wenn nahe Menschen sterben. Unsere Aufgabe als Schauspieler ist es, nicht vergessen zu lassen, dass es besser sein könnte.“

Wieder ein Ortswechsel beim Interview. Raus aus dem Probesaal, setzen wir uns spontan auf die Treppen zum Nachbarraum. Alexandra Krismer spielt Ba­bette, die Frau des Biedermann. „Das Schlimmste ist: Man weiß ja, dass was im Gange ist, und man bekennt sich nicht dazu. Wir sind alle zu sehr mit uns selbst beschäftigt und hören nicht mehr zu. Ich kenne das: Wenn man Dinge ganz klar sagt, dann fühlen sich die anderen oft veräppelt.“

Alexandra Krismer  Babette, Biedermanns Frau
Alexandra Krismer als Babette, Biedermanns Frau.

Foto: Lukas Gansterer

Aber braucht es dieses Stück überhaupt, wenn sich eh nichts ändert?

Dominic Oley (ebenfalls Brandstifter): „Das Stück braucht es, weil es eine Aufforderung ist, in unser Oberstübchen zu schauen, wie wir als Gesellschaft einen Brandherd erkennen können – ­gerade in einer Zeit, in der vieles nach rechts driftet, bietet es die Möglichkeit, auf humorvolle Weise zu überprüfen, wie Fanatismus entsteht und wie lange es dauert, bis man sich selber eingesteht, dass man schon in der Rue de la Gack steckt. Wir haben bei meiner Figur die Setzung gemacht, dass sie mit einer sehr freundlichen, jovialen Art jemanden einlädt, der Täter zu werden, ohne Gewalt anzuwenden.“

Was also tun gegen den Irrsinn?

Die wunderbare Lore Stefanek (Chorführerin) hat sich jetzt auch zu uns gesetzt: „Man bekommt ja jeden Tag Nachrichten, die einem Angst machen. Irgendwann sagt man dann: Ich mache jetzt zu, weil ich muss auch leben. Genau das ist die Situation des Stücks. Wir haben den Satz als Chor: ‚Es ist nicht alles im Leben ein unabwendbares Schicksal.‘ Der Mensch ist in der Lage – wenn er hinschaut auf die Gegenwart und auf sich persönlich –, sich zu ändern und seine Welt. Es ist ein Stück, das uns auffordert, hinzuschauen.“

Lore Stefanek  Chorführerin
Lore Stefanek als Chorführerin.

Foto: Lukas Gansterer

Diese Geschichte ist voller ­Menschen, die nicken. Auch Katharina Klar (Dienstmädchen Anna) tut es: „Ich liebe die Sprache von Max Frisch, sie ist so wunderschön, so klar mit ihren antiken Anklängen, dazu die Brechungen. Das ganze Stück wirkt so simpel, aber das ist es nicht. Das Stück zeigt ein einziges großes Dilem­ma.“ Stimmt. Anschauen!

Hier zu den Spielterminen von Biedermann und die Brandstifter!