„Ach, weißt du“, sagt Sona MacDonald und lacht dabei ihr wunderbares Lachen, das viel Koloratur und eine Prise Dreck hat, „ich bin mit diesem Stück aufgewachsen, ich liebe es. Und jetzt wünscht sich ein junger Regisseur, das Stück neu zu denken – und da bin ich dabei und neugierig.“
So einfach ist das. Also spielt jetzt Sona MacDonald in der Wiener Volksoper den Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“. Eine Spur Koketterie ist mit dabei, wenn Sona MacDonald erzählt, wie sie zu der Rolle gekommen ist – aber wen juckt’s? „Man hat mich einmal* gefragt, was denn der liebste Teil einer Arbeitsphase ist. Für mich war es der erste Anfrageanruf, der mich gleich beflügelt hat.“

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Am Theater in der Josefstadt ist sie weiterhin Gast und bleibt dem Publikum also dort erhalten. „Ich bin jetzt künftig dann halt auch Gast an der Volksoper, und das passt gerade sehr für mich – auch weil beide Theaterleitungen mir so viel Liebe entgegenbringen.“Gut. Das würden wir auch, wenn wir Direktor*in wären. Denn Sona MacDonald füllt Theater, hat eine breite Fanbase, und das Publikum zieht mit ihr mit: vom Burgtheater über die Josefstadt in die Kammerspiele – und jetzt vermutlich ins rosa Haus am Gürtel.

Sona MacDonald

Foto: Andreas Jakwerth

Mackie Messer - dieser Mensch hat so viele Farben. Ich fühle mich angezogen von solchen Menschen.

Sona MacDonalds, Sängerin und Schauspielerin

Maurice Lenhard ist der Mann, der Sona MacDonald angerufen hat. Er ist einer dieser jungen, klugen, bunten, einnehmenden Kreativköpfe, die von Lotte de Beer in ihr Volksopern-Becken geworfen werden. „Lotte und ich haben in Stuttgart zusammen- gearbeitet, und wir sind in Kontakt geblieben. Ich mag ihren Zugang, der sagt: Ich sehe, dass du etwas mitbringst, was unser Team brauchen kann. – Sie ist sehr offen, aber immer mit der Option: Vielleicht klappt es auch nicht. Aber ich war dann schon sehr überrascht, als sie anrief. Es ist ein Kompliment.“ Also, schon wieder geht es um einen Anruf. Gut, dass alle Beteiligten auch abgehoben haben.

Bei aller Liebe zu Sona MacDonald – aber woher kennt ein junger deutscher Regisseur sie? Maurice Lenhard grinst, als er erzählt: „Ich habe viel recherchiert und auch ein Interview mit ihr gelesen, das sie der BÜHNE gegeben hat. Sie ist so unfassbar offen. Jemanden von ihrer Größe sagen zu hören, ‚Ich möchte wissen, was ihr zu sagen habt‘, das ist vorbildhaft. Ich habe in der Vorbereitung gemerkt, sie bringt alles mit, was ich in den meisten Darstellungen von Mackie Messer vermisse. Sona ist ein Geschenk, weil sie Musik atmet und eine großartige Schauspielerin ist. Sie singt drei Töne – und es passt. Es gibt so vieles, was nicht gesagt oder erklärt werden muss.“

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Während wir mit ein wenig Stolz noch nachwirken lassen, dass auch wir ein winziges bisschen an Sona MacDonalds Engagement mit beigetragen haben, erzählt Lenhard weiter. „Sona mit ihrer wahnsinnig anziehenden Kraft: Da ist jedem sofort klar, warum ihr die Menschen auch in ihrer Rolle als Mackie folgen. Und trotz alldem kann sie auch sehr hart sein.“
Sona MacDonald und Maurice Lenhard haben sich übrigens nach dem Telefonat auf einen Kaffee getroffen, und das war’s. Kreative Liebe auf den ersten Blick.

Maurice Lenhard
Regisseur Maurice Lenhard inszeniert „Die Dreigroschenoper“ völlig neu an der Volksoper Wien.

Foto: Sandra Then

Sona ist ein Geschenk, weil sie Musik atmet.

Maurice Lenhard, Regisseur

Seither arbeitet es in Sona MacDonalds Kopf. Ununterbrochen. „Ich war oft die Jenny oder die Polly in der „Dreigroschenoper“. Ich habe Aufnahmen mit Max Raabe und Nina Hagen gemacht. Ich habe es oft konzertant gespielt. „Die Dreigroschenoper“ ist Kulturinventar. Alle haben eine Meinung dazu, haben ein Bild von Mackie Messer. Alles ist so festgefahren. Für mich hat dieser Mann, nein, diese Frau, nein, dieser Mensch alle Farben unter der Sonne. Ich war immer sehr angezogen von solchen Menschen.“

Vom Aufbrechen von Sichtweisen

Sie macht eine kurze Pause, um zu atmen, um zu lachen, um sofort wieder nachdenklich zu werden. „Ich möchte gerne aufzeigen, wie Männer sind oder sein können, möchte mich aber nicht mit vorgefertigten Meinungen aufhalten. Ich selber gehe so gerne ins Theater, um neue Denk- und Sichtweisen zu sehen. Wir können doch nicht einfach so weitermachen wie bisher. Brecht hat so vieles gesellschaftspolitisch ‚gerochen‘. Sein Appell an uns alle ist, dass wir darauf mehr schauen – und nicht auf andere so runterschauen.“

Sie macht wieder eine Pause. Plötzlich lächelt sie breit. Man merkt: Jetzt kommt etwas von ganz tief drinnen. „Ich bin gerade an der Bühne der Volksoper vorbeigegangen. Dieses große Orchester, das wir da haben werden! Ich habe ein gutes Gefühl. Ich spüre, dass die Menschen nach Unterhaltung lechzen, nach einem hohen Niveau an Denkanstößen. Richtig gutes Entertainment eben. Ich bin mit den Texten und der Musik von Weill und Brecht aufgewachsen und bin jetzt wahnsinnig gespannt, wie wir das aufbrechen werden.“ Wir sind beim Punkt. Was kann man als Theatermacher*in bei der „Dreigroschenoper“ noch neu machen, noch neu denken?

Kurzer historischer Exkurs: Die Premiere der Dreigroschenoper“ schien unter keinem guten Stern zu stehen. Man war sich unsicher, wie dieses neuartige Stück Musiktheater beim Berliner Publikum ankommen würde. Bei der Premiere war die Stimmung zu Beginn eisig, ohne viele Reaktionen – selbst gegangen. Es war der Wunsch, dem Stück etwas bei der „Moritat von Mackie Messer“. Doch plötzlich änderte sich alles. Beim „Kanonenlied“ gab es spontanen, entfesselten Beifall. Unverzüglich folgte eine Zugabe. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

Sona MacDonald
Rosa Haus am Gürtel. Sona MacDonald vor der frisch angefärbelten Volksoper. Der Publikumsliebling steht auf einem Zaun, daher der Verfremdungseekt. Wir haben also nicht am Bild getrickst. ;-)

Foto: Andreas Jakwerth

Nach der Premiere wurde das Werk innerhalb von fünf Jahren über 10.000-mal in Europa aufgeführt und in achtzehn verschiedene Sprachen übersetzt. „Die Dreigroschenoper“ wurde zum erfolgreichsten deutschen Theaterstück des 20. Jahrhunderts. In der Josefstadt läuft eine hochgelobte Produktion – mit Claudius von Stolzmann, Maria Bill, Paula Nocker und anderen Publikumslieblingen. Hier, in der Volksoper, spielt also eine Frau einen Mann – ist das also das billigste Ticket auf dem PR-Genderzug?

So wird die „Dreigroschenoper“ entstaubt

Lenhard lacht. „Wir wussten von Beginn an, dass wir diesen Vorwurf bekommen werden. Er ist billig. Das Stück ist binär angelegt. Wir brauchen also Männer und Frauen. Und die spielen Figuren, die die Mechanismen von Frau und Mann in der Gesellschaft repräsentieren. Das, was Mackie als Macho auf die Bühne bringt, werden wir anders sehen, wenn es von einer Frau dargestellt wird. Mackie gegenüber steht Jenny als zentrale Frau seiner Vergangenheit. Sie ist nicht nur die lustige Prostituierte in Strapsen, sie ist gebrochen, hat viel verloren.

Dies wahrhaftig darzustellen wird in vielen Versionen verhindert, und daher sind wir den Weg des Verfremdungseffekts gegangen. Es war der Wunsch, dem Stück etwas zu geben, was wir darin sehen. Ich denke generell sehr viel über die Möglichkeiten nach, wie das Spiel der Rollen- und Stimmengeschlechter am Musiktheater geht. Was ist, wenn ich keinen Tenor finde? Könnte das auch ein Mezzosopran singen? Und was würde das inhaltlich – nicht musikalisch – mit der Geschichte machen?“

Maurice Lenhard hat im Reden das doppelte Tempo von Sona MacDonald, aber macht ähnliche Pausen. Nur: Statt laut zu lachen, lächelt er und schaut dabei so, als würde er überprüfen, ob sein Gegenüber ihm noch folgen kann. Es kann. „Die Idee war einfach, das Bild, das alle von der ‚Dreigroschenoper‘ haben, zu entstauben und neu aufzusetzen.Wir wollten kein Milieu darstellen, keine ‚Babylon Berlin‘-Kulisse aufbauen. Alle verbinden mit dem Stück die schmutzigen Hemdkrägen der 20er-Jahre. Wir werden von Filmen mit dieser Ästhetik überflutet, sie ist dadurch schwach geworden.

Das erzählt uns nichts Neues mehr. Die Drastik wird nicht mehr rübergebracht, und das verwässert – unserer Meinung nach – den Inhalt. Diese Ästhetik lässt uns gemütlich werden und sagen: ‚Ah ja, die 20er ...‘“Lenhard holt wieder tief Luft: „Und dennoch können wir nur Theater aus dem Kern unserer Zeit, unseres Alltags machen. Die Zeichen, die wir dafür auf der Bühne wählen, müssen aber nicht eindeutig sein.“

Wieder atmet Lenhard ein. „Es ist nicht mehr nur eine Metapher,dass nicht zu frieren ein Privileg ist. Ich meine nicht nur die Kälte der Gesellschaft. Ich meine frieren im Sinne einer eiskalten, auf sich selbst fokussierten Gesellschaft. Denn niemand in diesem Stück ist gut, alle sind ambivalent. Auf der Bühne und bei den Kostümen folgen wir einem sehr stilisierten Ansatz – die Bühne wird zu einer Art gepolsterten Teppichlandschaft. Denn am Ende des Tages leben wir, die wir im Polster des Theaters sitzen, in einem Teil der Gesellschaft, in der niemand wirklich tief fällt. Auch wer erschossen wird, landet in unserer ‚Dreigroschenoper‘ weich.“

Zur Person: Sona MacDonalds

Geboren in Wien, studierte sie in London und debütierte an der Volksbühne Berlin. Sona MacDonald arbeitete u.a. mit Peter Stein und Peter Zadek, spielte in zahlreichen Musicals, Kino- und TV-Filmen und war seit 2003 (wieder) Ensemblemitglied in der Josefstadt. Jetzt ist Sona MacDonald sowohl in der Josefstadt als auch in der Volksoper Gast. Dort spielt sie jetzt Mackie Messer.

Zu den Spielterminen von „Die Dreigroschenoper“ in der Volksoper Wien!