Samouil Stoyanov: Der große Wurf
Wie beim Basketball kommt es auch im Theater auf perfekte Pässe an, damit der große Wurf gelingt. Für den Basketball spielenden Bauchschauspieler Samouil Stoyanov ist Theater deshalb vor allem eines: Teamsport.
Im Wort „Zusammenspiel“ scheint für Samouil Stoyanov alles zu stecken, was Theater für ihn ausmacht. Denn sein Beruf ist für den in Sofia geborenen Schauspieler vor allem eines: Teamsport. Und dieser findet, davon ist er überzeugt, nicht nur auf der Bühne statt, sondern auch dahinter, darüber und darunter. In viele dieser theatralen Zwischenräume bewegen wir uns beim Interview. „Los, lass uns durchs Haus laufen“, sagt Stoyanov, und schon geht die Reise los. Selbst wenn man versuchen würde, sich seiner Energie zu entziehen, bräuchte man dafür einen Panzer vom Ausmaß der kürzlich verstorbenen Schönbrunner Riesenschildkröte Schurli. Aber warum sollte man das überhaupt wollen?
Karoline und Kasimir: Aus der Not(iz) geboren
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Teamsport
Schnell wird klar, was Samouil Stoyanov unter Teamsport versteht. „Ich möchte alle kennenlernen, die hier am Haus arbeiten. Theater ist wie eine Kleinstadt in einer Großstadt“, erklärt er und öffnet einen der Hinterausgänge des Volkstheaters. Vor der Türe stehen einige Bühnenarbeiter*innen. Obwohl draußen ein bitterkalter Wind pfeift, schlägt uns sofort eine große Wärme entgegen. Wir ziehen weiter, treffen unterwegs Giorgio, einen der Tontechniker im Stück „humanistää!“.
„Es gibt in dem Stück eine Szene, in der ich mir ständig den Kopf anhaue und Giorgio den Ton dazu macht. Und obwohl ich die Szene jedes Mal ein bisschen anders spiele, passt es immer perfekt zusammen. Auch das ist für mich Ensemble“, sagt er, und man glaubt es ihm aufs Wort. Die zum Berliner Theatertreffen eingeladene Inszenierung von Claudia Bauer hätte ihn überhaupt sehr glücklich gemacht. „Weil das Stück zeigt, wie gut wir als Gruppe funktionieren und welches Potenzial noch in uns als Ensemble steckt.“
„Das war richtig lit“
Die Erkenntnis, dass man als Schauspieler immer nur so gut ist wie der Rest der Kleinstadtbewohner*innen, hat er aus München, wo er von 2015 bis 2020 an den Kammerspielen engagiert war, ans Volkstheater mitgenommen. „Es darf meiner Meinung nach im Theater nicht darum gehen, jemand anderen an die Wand zu spielen. Ich finde meine Arbeit dann am spannendsten, wenn es innerhalb der Gruppe zu fließen beginnt.“ Ein bisschen wie beim Basketball, einer weiteren Leidenschaft des 32-Jährigen, dessen Eltern in Linz eine Ballettschule betreiben. Das Gefühl eines perfekten Passes, der anschließend zu einem Korb führt, dürfte sich ein bisschen so anfühlen, wie das Zusammenspiel zwischen Sami und Giorgio – und natürlich auch der restlichen „humanistää!“-Truppe.
Das habe viel mit Vertrauen zu tun, ergänzt der Schauspieler, der es für wichtig erachtet, dass es mit dem Volkstheater ein großes Haus in Wien gibt, das experimentierfreudig ist und „ein bisschen anders tickt“. Stoyanov glaubt fest daran, dass es mit diesem Ansatz gelingen könnte, auch Menschen für das Theater zu begeistern, die sich bislang kaum für Schauspiel interessiert haben.
Er kann sogar beweisen, dass es so ist. Die Voraussetzung dafür ist allerdings auch hier, dass der Pass exakt ankommt. „Beim Basketballspielen habe ich einige Jugendliche kennengelernt und sie gefragt, ob sie nicht Lust hätten, sich ‚humanistää!‘ anzusehen“, erzählt der Schauspieler lachend.
„Drei von ihnen waren dann tatsächlich da und haben mir nach der Vorstellung Nachrichten geschrieben, in denen stand: ‚Krass, Alter. Das war richtig lit, wie du gespielt hast.‘ Das sind Erlebnisse, die mich begeistern.“
Der Moment zählt
Für Samouil Stoyanov, der ab 25. Februar neben „humanistää!“ und „Die Politiker“ auch in der Stückentwicklung „Karoline und Kasimir“ zu sehen sein wird, zählt vor allem der Moment. „Ich spiele immer aus dem Bauch heraus und erarbeite mir die Sachen aus einem Gefühl, einem Rhythmus oder einer Musik. Handwerk war schon in der Schauspielschule nicht so meins“, erklärt der Schauspieler, der nach eigenen Angaben schon ganze Dialoge mit Souffleuren und Souffleusen geführt hat. „Wenn man mit den Publikum total offen ist, braucht man auch keine Angst davor zu haben, den Text zu vergessen. Ganz im Gegenteil, denn das Publikum liebt solche Momente, weil es merkt, dass da oben auf der Bühne auch nur ein Mensch steht.“
Und zwar einer, den nach Abschluss des Max Reinhardt Seminars 18 Theater in ihrem Ensemble haben wollten. Entschieden hat er sich dann für die Münchner Kammerspiele, damals noch unter der Intendanz von Matthias Lilienthal. „Ich hatte das Gefühl, dass Matthias mich sieht und nicht, was er aus mir machen kann“, begründet er seine Entscheidung.
In der Gegenwart leben
Dasselbe Gefühl hatte er bei auch Kay Voges, nur dass er, wie er hinzufügt, diesmal mit einem anderen Selbstbewusstsein an die Sache rangegangen ist. „Ich weiß, wer ich bin und was ich kann“, sagt er und weiß auch deshalb ganz genau, wovon er spricht, weil das, wie bei vielen anderen jungen Menschen, nicht immer so war.
„Ich habe viel Schule geschwänzt, war Punk, dann in der Hardcore-Metal-Szene unterwegs. Ich habe auf der Straße Spenden gesammelt und war einfach insgesamt sehr lost. Aber eigentlich versuche ich immer in der Gegenwart zu leben, und momentan ist das, was ich jetzt tue und wo ich jetzt bin, das Normalste auf der Welt für mich.“
Irgendwann mitten im Interview fragt Sami, was denn das untypischste Interview wäre, das wir machen könnten. Die Antwort ist klar: Das ist es bereits. Und das ist gut so.
Zur Person: Samouil Stoyanov
Der gebürtige Bulgare wuchs in Linz auf, wo seine Eltern eine Ballettschule betreiben. Er erhielt Unterricht in den Fächern Ballett, Jazztanz, Stepptanz, Flamenco und Modern Dance. 2011 begann er sein Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar. Von 2015 bis 2020 war er festes Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen. Seit dieser Spielzeit gehört er dem Ensemble des Volkstheaters an.