Es sind nur 160 Meter von der Wiener Staatsoper zum Privatbüro von Hans Peter Haselsteiner. Wir sind zu früh dran und wagen den blöden Spruch „Besser zu früh als zu spät“. Der wird von einer Mitarbeiterin Haselsteiners schlagfertig mit „Auch wer zu früh ist, ist unpünktlich“ gekontert. Wir warten keine Minute, dann betritt HPH, wie er genannt wird, die Bühne.

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20 Millionen Euro hat Hans Peter Haselsteiner mit seiner Strabag und seiner Privatstiftung gerade lockergemacht, um der Wiener Staatsoper eine zweite Spielstätte am Karlsplatz hinzustellen, den Französischen Saal – eröffnet wird im kommenden Jahr. In die Festspiele Erl hat er insgesamt 100 Millionen investiert und schießt jährlich aus seiner Privatstiftung weitere Millionen zu. Jonas Kaufmann übernimmt ab 2024/25 die Intendanz. Das sind die aktuellesten Projekte des Mannes, dessen Vermögen auf knapp zwei Milliarden Euro geschätzt wird.

BÜHNE: Es ist kurz nach 13 Uhr – wie viele Entscheidungen haben Sie heute schon getroffen?

Hans Peter Haselsteiner: Nicht allzu viele, wenn ich jetzt von der Stunde absehe, die ich mit meiner Assistentin verbracht habe: Da war das eine oder das andere dabei.

Warum stecken Sie – abgesehen davon, dass Sie das Geld haben – so viele Millionen in Kultur?

Meine Mutter war eine sehr kunst- und kulturaffine Frau – sie war Sängerin und Chorleiterin –, sie hat mich zur klassischen beziehungsweise geistlichen Musik geführt. Ich mag die Messe als Musikerlebnis noch immer, auch wenn ich nicht besonders gläubig bin. Daher mein Tipp an junge Regisseure: Schaut euch die pompösen kirchlichen Ereignisse an, da kann man was mitnehmen – wenn es ums Eindruckschinden geht, kennt sich die Kirche aus … (Lacht.)

Zwischen „Ich höre gerne Kirchenmusik“ und „Ich finanziere Opernhäuser“ ist aber noch ein breiter Weg …

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Als ich mit Erl begonnen habe, war ich gerade sehr empfänglich: Meine Frau und ich hatten in Bayreuth den Schlingensief-„Parsifal“ gesehen und beschlossen, eine Pause zu machen.

Ich bin einer Gesellschaft, die es mir ermöglicht hat, erfolgreich zu sein, etwas schuldig.

Da hat es Ihnen gereicht? Ich mag es nicht, wenn ich trotz Vorkenntnissen einer Oper nicht folgen kann. Ich will kein Handbuch des Regisseurs lesen müssen, um die Handlung zu verstehen.

Es ist eine Überheblichkeit von Regisseuren, wenn sie sich einbilden, dass sie in eine Doppelrolle schlüpfen können – nämlich in die des Regisseurs und in die eines Überautors, der für sich in Anspruch nimmt, dass er die Geschichte besser erzählt als das Original. Wir hatten wunderschöne Wagner-Abende in Bayreuth, aber es war dann genug.

Ich liebe Wagners Musik – aber bei seinen Libretti bin ich der Meinung, die hätte er jemand anderen schreiben lassen sollen …

(Lacht.) Wagner war der Hersteller einer Droge, einer Hördroge: Wenn man seine Musik einmal gehört hat, dann will man sie immer wieder hören. Den Text nimmt man halt mit in Kauf – ebenso seinen mehr als fragwürdigen Charakter. Bekanntlich hat er ja geglaubt, dass er als Dichter berühmt wird und nicht als Komponist – zu unser aller Glück ist aber die Musik das, was Bestand hatte.

Sie – also die Strabag und Ihre Stiftung – stellen jetzt uns allen eine zweite Spielstätte der Wiener Staatsoper hin: Sie zahlen 20 Millionen, der Bund fünf Millionen. Sauer, dass es nicht mehr ist?

Nein. Es waren genau die fünf Millionen, die ich erbeten hatte. Ich habe gesagt: Gebt mir einen Zuschuss, der mich glauben lässt, dass es ein gemeinsames Interesse für dieses Projekt gibt.

… und, gläubig geworden?

Letztlich glaube ich, dass der Herr Finanzminister, der Herr Vizekanzler und die Frau Staatssekretärin dieses Projekt unterstützt haben, weil es ein Anliegen der Republik sein muss, Oper Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen und sie dafür zu begeistern. Nur so können wir garantieren, dass wir das Kulturland Nummer eins bleiben. Ich glaube, es wird eine zauberhafte Kinder- und Jugendbühne. Sie passt perfekt. Von der Größe, vom Ort – und sie wird alles haben, was eine Kinderoper braucht, und noch viel mehr sein: ein Ort der Experimente.

Neue Kinder- und Jugendoper
Grundsteinlegung der neuen Kinder- und Jugendoper: Bogdan Roščić mit Hans Peter und Klemens Haselsteiner bei der Grundsteinlegung im Künstlerhaus am Karlsplatz. Strabag und Privatstiftung zahlen 20 von insgesamt 25 Millionen. Das Haus wird 251 Sitzplätze umfassen. Eröffnung: 2024.

Foto: Atha Athanasiadis

Hätten Sie auch Bogdan Roščićs Vorgänger so ein Haus hingestellt?

Wenn er mich gefragt hätte – ja. Die Meyer’sche Lösung war aber die Spielstätte in der Walfischgasse. Ein Stadttheater mit dem Charme einer Grottenbahn. Aber eine Kinderoper baut man nicht für eine Person, die baut man, weil man glaubt, dass es eine Notwendigkeit gibt. Dass Bogdan Roščić ein kompetenter und überzeugender Projektplaner ist, ist eine positive Begleiterscheinung. Er hat eine gute Hand für die richtige Mischung aus Tradition und Neuem, Experiment und Bewährtem – er macht ein überzeugendes Programm.

Dass Jonas Kaufmann Intendant von Erl wurde, soll eine Idee von Roščić gewesen sein, habe ich gehört – keine Ahnung, von wem …

Vielleicht von mir. (Lächelt.)

Vielleicht. Was erwarten Sie sich von Jonas Kaufmann?

Die erste Erwartung ist sicher, dass er mit seiner Person eine Identifikation mit Erl schafft. Obwohl Loebe ein großartiger Opernmann mit einem unglaublichen Gespür für Sänger ist, wurde er leider nicht als „Mister Erl“ wahrgenommen. Das war sicher auch sehr schwer, nach einem begeisternden und alles umarmenden Brocken wie Gustav Kuhn …

… der auch ein paar Menschen gegen deren Willen umarmt hat.

Ja, Kuhn mag auch die Falschen umarmt haben – aber das Bild wollte ich nicht zeichnen, sondern jenes des für die Sache brennenden Gustav Kuhn. Er hatte viele Rollen: Intendant, Dirigent, Regisseur und auch Beleuchter. Nach Erl muss man anreisen – und daher brauche ich ein Programm, das das Publikum dazu veranlasst, eine Reise nach Erl zu unternehmen. Ich glaube, wir waren zuletzt in der Programmierung sehr anspruchsvoll, und Covid kam dazu.

Jonas Kaufmann
Neo-Erl-Intendant Jonas Kaufmann: Der Welttenor übernimmt ab der Spielzeit 2024/25 die Intendanz der Festspiele in Erl. Das Programm wird noch im Herbst präsentiert.

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Kaufmann wird bereits ab der Saison 2024/25 antreten – nicht viel Zeit, weil ja die meisten Künstler*innen des Opernzirkus langfristige Verträge haben.

Das erste Programm wird Weihnachten 2024 sein, dann kommt die Sommersaison 2025, in der wir nur das Festspielhaus haben, weil in dem Jahr im Passionsspielhaus die Passion stattfindet – was alle sechs Jahre der Fall ist –, und dann hat er fünf Jahre lang beide Häuser. Es ist eine Herausforderung, aber Jonas Kauf-mann ist gut vernetzt, und es wird ihm gelingen, seine Wunschbesetzungen nach Erl zu bringen. Ich glaube, er wird mit seiner Person eine Identifikation mit Erl schaffen.

Warum geben Sie eigentlich so viel Geld für gemeinnützige Projekte aus? Sie könnten das Geld ja auch behalten, andere Milliardäre tun das auch.

Ich sage solchen Menschen: „Mein Lieber, ja, du hast Steuern gezahlt. Ja, du hast hart gearbeitet, warst fleißig und hast gute Ideen gehabt und hast alles richtig gemacht – aber stell dir vor, du hättest alle diese Ideen und den Fleiß in einem anderen Land gehabt: Nichts wäre daraus geworden.“ Man benötigt das richtige gesellschaftliche Umfeld, um Erfolg zu haben. Das ist eine Tatsache. Ich bin also dieser Gesellschaft etwas schuldig, in der ich so erfolgreich sein konnte, in der ich mich wohlfühle. Es ist in meinem Interesse, dass der gesellschaftliche Kitt hält und Menschen nicht ins Abseits geraten – auch nicht die Kunst, sondern dass sie gefördert wird.

Ich trete für eine Vermögenstransfersteuer ein, aber auch nur dann, wenn dadurch die rekordhohe Steuerquote in Österreich nicht steigt.

Hans Peter Haselsteiner

Ab welcher Vermögenssumme sollte jeder Milliardär etwas beitragen? Ab einer Milliarde, wie in den USA derzeit gefordert wird?

Es ist für das persönliche Fortkommen von keinerlei Relevanz, ob man eine Milliarde oder zwanzig hat. Der eine schmeißt halt das Geld für Jachten oder noch größere Flugzeuge raus. Ich will keine Jacht und keinen Jet mehr. Ich habe ein Flugzeug – aber das ist so ein Sprudler. Das ist auch Luxus, erhöht aber meine Beweglichkeit enorm.

Was halten Sie von der Erbschafts- oder der sogenannten Millionärssteuer?

Ich trete für eine Vermögenstransfersteuer ein, aber auch nur dann, wenn dadurch die rekordhohe Steuerquote in Österreich nicht steigt. Wenn ein Vermögen den Besitzer wechselt, dann kann man durchaus fordern, dass ein Teil an die Allgemeinheit abgeliefert wird – da man ja ohne eigene Leistung etwas bekommt. Das finde ich nur fair.

Hans Peter Haselsteiner
Hans Peter Haselsteiner, 79. Dieses Porträt entstand im Büro von Hans Peter Haselsteiner im 1. Bezirk in Wien. Der Milliardär

Foto: Hilde van Mas

Ist diese Einstellung auch bei Ihrer Erziehung eingeflossen?

Gegenüber meinen Kindern? Ja, ich glaube und hoffe schon.

Bevor wir zum Ende kommen, noch ein paar schnelle Fragen: Schon einmal gearbeitet, ohne dafür Geld zu bekommen?

Ja. Ziemlich häufig sogar.

Wie hoch ist Ihr Überziehungsrahmen bei Ihrem Bankkonto?

Ich glaube, ich habe keinen.

Haben Sie eine Geldtasche oder eine Slim Wallet?

Das hier. (Haselsteiner greift in seine Hemdtasche und holt geschätzte 70 Euro Bargeld heraus.)

Wo sollte Reichtum aufhören?

Dort, wo der Mensch mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung gestellt werden, nicht verantwortlich umgeht. Egal wo das ist: Bei dem einen ist es eine Null, bei dem anderen sind es ein paar Nullen mehr.

Was ist für Sie teuer?

Teuer ist, wenn das Erworbene das nicht wert ist, was es kostet.

Firmen wie Twitter und Co sind in den Händen nicht ganz erwachsen wirkender Menschen … Ist das nicht ein echtes demokratiepolitisches Problem?

Ob die erwachsen sind oder nicht, spielt keine Rolle. Wichtig ist die Frage, ob sie Demokraten sind oder ob sie der Versuchung erliegen und sagen: „Ich habe Macht und möchte diese auch missbrauchen oder ein Ziel verfolgen, das nicht im Interesse der Allgemeinheit ist.“ Ich vertraue da sehr auf die Amerikaner: Die pflegen Konzerne, wenn diese zu mächtig oder zu korrupt wurden, zu zerschlagen. Sie haben die Eigentümer mit vollen Taschen nach Hause geschickt, aber die Macht wurde ihnen genommen.

Lust auf Politik? Vielleicht als Bundespräsident?

Nein. Danke. Sicher nicht. Wer sollte mich noch wählen? Früher, in Zeiten des Radios, mussten Politiker gut reden können, später mussten sie dann telegen sein, und jetzt sollten sie eine Mischung aus Mutter Teresa, Kim Kardashian und Nobelpreisträger sein. Mit der Kombination kann ich nicht dienen. (Lacht.)

Danke für das Gespräch.