„Es hat meinem Jahrgang ordentlich reingeschissen.“ Spricht Nils Arztmann und meint seine Zeit am Max Reinhardt Seminar, die beinahe parallel zur Corona-Pandemie verlief. „Darf man das überhaupt sagen?“, überlegt er umgehend seine explizite Wortwahl. In der BÜHNE darf man alles, solange es niemandem schadet. Und Authentizität im Ausdruck fällt eher in die Kategorie sympathisch. Schauspielunterricht via E-Mail und Videokonferenzen funktioniert nur sehr bedingt, da geglücktes Bühnengeschehen ein soziales Miteinander erfordert.

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„Ich hatte das Glück, im zweiten Ausbildungsjahr Regina Fritsch im Einzelunterricht für Rollengestaltung als Professorin zu haben, und wir waren uns einig, dass man mittels Zoom nur an der Oberfläche kratzen kann. Wir haben den Unterricht ausgesetzt, sie hat mich animiert, stattdessen zu lesen und über andere Dinge als Theater nachzudenken, was mir gutgetan hat. Im Sommer haben wir das Versäumte dann sehr komprimiert nachgeholt. Im Nachhinein gesehen würde ich sagen, dass ich durch diese Intensität sogar deutlich mehr gelernt habe. In anderen Fächern, wie etwa Körpergestaltung, hat die Zeit der Lockdowns aber viel weggenommen, was man dann auch bei den Vorsprechen nach der Pandemie gemerkt hat. Wenn man es gewohnt ist, in ein kleines Kasterl zu reden, fehlt einem die Präsenz im Raum.“ Das mag vielleicht für andere gelten, Nils Arztmann, der seine Ausbildung 2022 mit Diplom abschloss, darf kaum über Ausstrahlungsverlust klagen.

Herbert Föttinger

Die Föttinger-Formel: Aus zwei mach eins

Föttinger ist nicht gekommen, um zu bleiben, sondern um zu bewegen. Aus Josefstadt und Kammerspielen macht der Direktor eine ­Verzauberungsanstalt. Und Turrini, Peymann, Steinhauer und viele andere helfen ihm in der kommenden Saison dabei. Weiterlesen...

Alle paar Jahre gibt es das Phänomen, dass ein junger Darsteller / eine junge Darstellerin aus dem Kreis der ohnehin Talentierten noch ein wenig mehr hervorsticht. Birgit Minichmayr zählte dazu, auch Stefanie Reinsperger oder Jan Bülow. Aktuell verfügt Nils Arztmann über all jene Attribute, die man gemeinhin unter Charisma zusammenfasst.

Doch ganz so einfach ist es nicht, denn die kreative Gabe erfordert viel Arbeit. Bei ihm begann diese sehr früh, wenn auch zunächst nur spielerisch.

Nur weil ich eine negative Kritik bekomme, heißt das nicht, dass ich nichts mehr wert bin.

Nils Arztmann, Schauspieler

Plötzlich Kollegin

„Ich bin nicht über die Literatur zum Schauspiel gekommen, sondern über die Lust an der Darstellung“, erklärt er seine Anfänge. „Meine Großeltern haben mich schon mit fünf Jahren ins Theater mitgenommen, und es hat nicht lange gedauert, bis ich das auch ausprobieren wollte. Als ich erfahren habe, dass es Reclam-Hefte gibt, in denen man Theatertexte nachlesen und folglich auch nachspielen kann, musste meine Mutter mir eine ganze Auswahl davon kaufen. Ich habe dann recht früh begonnen, in unterschiedlichen Theatergruppen zu spielen.“ Für ihn prägend sei die Zeit in Maria Köstlingers Jugendtheater „gutgebrüllt“ gewesen. „Sie kennt mich, seit ich ein kleines Zwetschkerl war, ich bin mit ihr aufgewachsen. Wir hatten einen alten, zu einer fahrbaren Bühne umgebauten Schaubudenwagen, für dessen Realisierung noch Karlheinz Hackl mitverantwortlich war, und mit dem sind wir im Sommer durch Österreich getourt. Wir haben jedes Jahr eine Produktion gemacht, Maria kennt mich also tatsächlich in fast jedem Lebensalter.“

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Dass sie beide nun Kollegen sind, könne er kaum fassen. „Das ist verrückt, denn für mich wird sie immer meine ‚Theatermama‘ sein.“

Nach dem Reinhardt Seminar hat man die Möglichkeit, sich bei AVOs (Absolvent*innen-Vorsprechen), die in München, Berlin und Neuss stattfinden, den führenden deutschsprachigen Theatern zu präsentieren. Nils Arztmann bekam umgehend zwei Ensemble-Angebote, lehnte beide aber aufgrund eines anstehenden Filmprojekts ab und entschied sich dafür, zunächst als freier Schauspieler zu agieren. Im Sommer 2022 spielte er Kostja in „Die Möwe“ bei den Festspielen Reichenau, wo Herbert Föttinger auf ihn aufmerksam wurde. „Das Gespräch mit ihm hat sich gut angefühlt. Ich hatte den Eindruck, dass die Josefstadt ein Theater ist, an dem ich die Chance bekommen würde, mich Herausforderungen zu stellen, sodass ich das Angebot, heuer fix ins Ensemble zu kommen, angenommen habe.“

Nils Arztmann
Schwarzes Schaf & weißes Schaf. „In meiner Großfamilie gibt es niemanden, der einen künstlerischen Beruf ausübt. Ich bin das schwarze Schaf, aber auch das weiße, denn meine Eltern haben mich sehr unterstützt und gefördert.“ Nils Arztmann im Kulissen- und Techniklager des Theaters in der Josefstadt.

Foto: Marcel Urlaub

Aktuell ist er in „Was ihr wollt“ in den Kammerspielen zu sehen. In der nächsten Spielzeit kommen „Die Möwe“ in der Inszenierung von Torsten Fischer, Heinrich von Kleists Klassiker „Der zerbrochene Krug“ und die Thomas-Arzt-Uraufführung „Leben und Sterben in Wien“ dazu. „Am meisten schätze ich, dass diese Stücke drei unterschiedliche Temperaturen haben, jeweils über ganz andere Ansätze verfügen. Ich leide ja unter der Angst, zu stagnieren und immer wieder dasselbe zu machen. Der Grund, warum ich ans Theater gegangen bin, war schon, dass ich hier die Möglichkeit habe, mannigfaltige Leben zu leben. Die Lust, auf einer Bühne zu stehen, speist sich aus der Interaktion mit dem Publikum, der gemeinsam verlebten Zeit. Das ist etwas, was nur das Theater kann.“

Ironisches Googeln

Schutz vor Verletzungen biete ihm die klare Abgrenzung seines Privatlebens – „das ist mein ‚safe space‘“. Er gehe auch nicht auf die Bühne, um persönliche Traumata zu verarbeiten, sondern um auf metaphysische Art eine Parallelexistenz anzunehmen.

„Man muss die Ambivalenz zwischen der Verletzlichkeit, die man für die Arbeit braucht, und der harten Schale, ohne die man Kritik nicht aushalten kann, integrieren können. Wie, weiß ich noch nicht. Klar muss aber sein: Nur weil ich eine negative Kritik bekomme, heißt das nicht, dass ich nichts mehr wert bin.“

Googeln Sie sich manchmal selbst? Nils Arztmann lacht. „Selten. Meist eher im ironischen Sinn. Aber nicht oft.“ Wie googelt man sich denn ironisch? „Nicht allein, eher in Gruppen. Ich sitze nicht abends einsam im Bett, und wenn es mir schlecht geht, google ich mich.“ Am Boden zu bleiben sei für ihn jedenfalls eines seiner größten Ziele. Texte lerne er im Übrigen sehr leicht. „Ich habe sechs Jahre lang professionell Schach gespielt. Da muss man sehr viele Eröffnungen lernen, wodurch man sein Gedächtnis gut trainiert.“

Er nahm als Jugendlicher an Europameisterschaften und an der Schach-Champions-League in Skopje teil, war Kärntner Meister, hörte damit aber auf, „weil es zu viel Zeit frisst“.

Politischer Kopf

Schon bald steht Nils Arztmann als blutjunger Bruno Kreisky im Biopic von Regisseur Harald Sicheritz vor der Kamera. „Ich spiele ihn im Alter von 16 bis 27. Der Film ist in der Zwischenkriegszeit angesiedelt, die deshalb so wichtig ist, weil sie kaum aufgearbeitet wurde, obwohl der Austrofaschismus den Humus bereitet hat, auf dem der Nationalsozialismus sprießen konnte. Man erkennt viele Parallelen zur heutigen Zeit.“

Reflektierter Schlusssatz: „Allein schon deshalb ist das ein wichtiger Film.“