Manche Selbstfindungsprozesse beginnen im Auto mit einem Song. Und – wenn man es sich nicht aussuchen kann – in Gestalt eines Lieds von Céline Dion. So geschehen bei Jacob. Er hört es, und ihm schießt die Erkenntnis ein: „Hey, ich bin Céline Dion.“ Nicht schlecht, in Anbetracht von mehr als 330 Millionen verkauften Tonträgern.

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Problem: Seine Umwelt – in Gestalt von Mama Pascaline und Papa Lionel – kann mit der Geschwindigkeit der Transformation nicht ganz mit und ist mittel bis schwer irritiert.

Jacob/Céline geht es hingegen wunderbar. In der Psychiatrie bereitet er – man hat als Superstar einiges zu tun – seine Welttournee vor. Sein bester Freund in der Einrichtung: Philippe – ein Weißer, der sich für einen Schwarzen hält.

So, das wäre einmal die Inhaltsangabe zu Yasmina Rezas neuem Stück „James Brown trug Lockenwickler“. Falls Sie fragen sollten: Hat er. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was man als Eltern mit einem Sohn macht, der im Kinderzimmer zum globalen Megastar wird, das wird ab 15. Februar in den Kammerspielen verhandelt. Als Aufwärmübung können Sie sich ruhig einmal dem herausfordernden Gedankenspiel hingegeben und dabei vielleicht ‚My Heart Will Go on‘ abspielen – als ganz persönlichen Soundtrack einer Identitätsfindung.

Best of Besetzung

Eines vorweg: Die Josefstadt-Produktion hat eine Besetzung vom Feinsten. Juergen Maurer feiert mit der Rolle des überforderten Vaters sein Bühnencomeback. Maria Köstlinger ist – wie im echten Leben – seine Frau. Julian Valerio Rehrl ist Jacob/Céline, Dominic Oley sein Freund, der Schwarze mit der weißen Hautfarbe, und Alexandra Krismer spielt die – offensichtlich in ein THC-Fass gefallene – Psychiaterin. Ein Best-of auch bei Musik (Eva „Gustav“ Jantschitsch), Kostüm (Aleksandra Kica) und Bühnenbild (Sabine Freude). Und: Publikumsliebling Sandra Cervik feiert ihr Regiedebüt an der Josefstadt.

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Das sagt die Autorin

Hat sich Yasmina Reza alles nur ausgedacht? Ist sie einem verrückten Einfall schriftstellerisch gefolgt?

Nicht ganz: „Mein Sohn hat Céline Dion vergöttert, als er klein war. Er hat für seinen Vater und mich in seinem Zimmer Konzerte gegeben als Céline Dion. Ich fand das genial. Sein Vater hatte manchmal Bedenken. Mein Sohn ist dann auch Sänger geworden. Er betrachtet Céline als seine Gesangslehrerin. Er hat mir bei der Entwicklung der Figur geholfen.“

Reza-Fans wird der Plot nicht ganz unbekannt vorkommen. In ihrem Weltbestseller „Glücklich die Glücklichen“ (2014) verarbeitete Reza bereits die absurde Geschichte der „Céline“-Werdung: „Es war damals eine Geschichte von vielen, aber eine, die im Gegensatz zu den anderen ohne Auflösung bleibt. Ich wusste, eines Tages würde ich diesen Personen wiederbegegnen.“ Es ist vielleicht Rezas persönlichster Text.

Wie ihre Figur Jacob/Céline hat Yasmina Reza auch viel von ihrem eigenen „Sichfremdfühlen“ verarbeitet: „Ich kam mir als Kind vor, als wäre ich in einem fremden Haus und fühlte mich anders als die anderen. Ich ging nicht in den Katechismusunterricht, ich ging auch nicht in den jüdischen Religionsunterricht, weil meine Eltern den Glauben nicht praktizierten. Ich ging nirgendwohin, wo die anderen Kinder hingingen. Wenn eine Freundin sagte, ich fahre zu meiner Großmutter in die Bretagne, hatte ich keine Großmutter in der Bretagne. Ich habe den Unterschied zwischen mir und den anderen ganz deutlich gespürt. Aber es hat mir nichts ausgemacht.“ Und genau so lässt sie Jacob sein Céline-Sein im Theaterstück leben: völlig selbstverständlich.

Maria Köstlinger
„Céline Dion? Besser, als wenn das Kind aufwacht und sagt: Ich bin Andreas Gabalier", findet Maria Köstlinger, Schauspielerin.

Foto: Hilde van Mas

Das sagt die Regisseurin

Aber wie sieht es die Frau, die das Werk auf die Bühne bringen wird? Wir treffen Sandra Cervik in der Probebühne der Kammerspiele – und die liegt mitten in der Wiener City in der Rotenturmstraße 20 – ein Stockwerk unter der Erde. „Ich finde, dass die Figuren viel differenzierter agieren, als sie es sonst in Reza-Stücken tun. Das hat eine große melancholische Note und auch etwas Komödiantisches. Reza sagt ja, dass man zwischen Komödie und Tragödie im Grunde nicht unterscheiden kann, für sie ist das irgendwie eins, und das hat sie in dem Stück auch so umgesetzt: Es gibt Szenen, die sind wahnsinnig lustig, und dann gibt es Szenen, die etwas ganz anderes mitbringen.“

Wenn Sandra Cervik über das Stück spricht, dann spielt ihr ganzer Körper das Gesprochene in großen Gesten mit: „Yasmina Reza ist jemand, der lieber Fragen stellt und anreißt, statt Thesen zu beweisen. Wir bekommen keine Botschaft serviert, sondern sie bricht etwas in uns auf, und wir gehen wunderbar amüsiert, aber auch nachdenklich nach Hause.“

Cervik macht eine Pause und setzt fort: „Die Frage von Identität war immer schon ein großes Thema in der Geschichte der Menschheit – diese Suche nach Selbstbestimmung von Identität: Wer bin ich? In welchem Körper bin ich? Und auch die Schwierigkeit von anderen, damit umzugehen. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir Jacob/Céline als eine Figur erleben, die deutlich mitbekommt, wie die Umwelt mit ihr umgeht.“

Den Kunstgriff, den Cervik dafür einsetzt: Julian Valerio Rehrl alias Jacob/Céline ist während des gesamten Stücks auf der Bühne. Immer. Quasi als personifizierter Elefant im Raum – auch bei Gesprächen der Eltern (siehe hier).

Sandra Cervik
Sandra Cervik ist einer der Schauspiellieblinge der Josefstadt. Zweimal bereits hat Cervik schon Regie geführt – im Theater der Jugend. Jetzt feiert sie in neuer Funktion ihr Hausdebüt in den Kammerspielen mit der Österreichpremiere des neuen Yasmina-Reza-Stücks. „Ich mag die Verantwortung. Ich freue mich, dass ich die sein darf, die die Geschichten erzählt, die ich gerne erzählen möchte. Das finde ich total schön.“

Foto: Moritz Schell

Das sagen Köstlinger & Maurer

„Wir hatten es in unserer Jugend viel einfacher. Wir hatten nicht diese virtuelle Landschaft und die Anforderungen und Standards, mit denen unsere Kinder zugeballert werden. Unsere Standards war die Dorfschönheit zwei Gassen weiter“, sagt Juergen Maurer. Dann schüttelt er den Kopf und meint: „Ist irgendwie typisch, dass ich so was in meinem Alter sage. Das wirkt abgeschmackt.“

Maria Köstlinger grinst und deutet ein leichtes Nicken an. „Céline Dion wäre schon eine große Aufgabe. Aber besser, als wenn das Kind aufwacht und es ist Andreas Gabalier – das wäre problematischer.“ Maurer grinst, und Köstlinger setzt ernst nach: „Man will ein glückliches Kind, das ist es. Wurscht, wie.“

Es ist ein Coup, dass Maurer und Köstlinger gemeinsam auf der Bühne stehen. Maurer hat viel gedreht in den vergangenen Jahren. Netflix-Serien, Fernsehfilme, Kino. Er könnte auf den arbeitsintensiven Probebetrieb hier in den Katakomben der Kammerspiele pfeifen. Tut er aber nicht. Lange Jahre war Maurer im Burgtheater-Ensemble, bis ihn Matthias Hartmann – ziemlich uncharmant – nicht mehr verlängert hat. Maurer zuckt mit den Schulter. „Es hat etwas anderes in Gang gebracht. Aber ich liebe Theaterspielen, den Probenprozess. Die Zeit zu haben, etwas herauszufinden. Ich habe das vermisst, und ich freue mich, dass ich in der Josefstadt spiele und vor allem gemeinsam mit Maria.“

Juergen Maurer
„Jeder, wie er will. Das ist meine Maxime.“ Das sagt Juergen Maurer im Interview mit der BÜHNE.

Foto: Hilde van Mas

„Stimmt“, sagt Köstlinger, „es gibt zwischen uns einfach kaum Kommunikationsbedarf, wir müssen uns bestimmte Sachen gegenseitig nicht mehr erklären.“ Und Maurer setzt nach: „Wenn ich meine drei Joker aus der Tasche ziehe, kennt Maria alle drei schon von zu Hause und sagt: Ach ja, Nummer eins, zwei, drei …“

Beide lachen.

Im Plaudern schweifen wir ein wenig vom Thema dieser Geschichte ab. Ich frage, warum manche Theater voll sind und andere nur halb. Juergen Maurer antwortet: „Also wenn du sagst, das Theater gehört für die fünf Prozent gemacht, die du repräsentierst – was schön und gut und wichtig ist –, darfst du halt nicht erwarten, dass die anderen 95 Prozent ins Theater kommen und sich den 5-Prozent-Standpunkt reinziehen. Einmal vielleicht. Aber nicht permanent.“

Klingt logisch. Wir nicken Maurer zu und versuchen wieder den Faden in Richtung Reza-Stück zu finden.

Die Schönheit der Verantwortung

Sandra Cervik springt uns da lächelnd zur Seite: „Juergen und Maria bringen etwas mit, was man nicht spielen kann – dass sie ein echtes Paar sind.“ Sie selber freut sich auf ihren Rollenwechsel in die Regie: „Ich glaube, man hat mehr Geduld, wenn man selber Schauspielerin ist, und ich finde es schön, dass ich diejenige sein darf, die die Geschichten erzählt, die ich gerne erzählen möchte. Die die Ästhetik mit der Bühnenbildnerin auswählt. Das finde ich schön.“

Zur Person: Juergen Maurer

ist einer der erfolgreichsten Film- und Seriendarsteller des deutschsprachigen Raums. Viele Jahre war er Ensemblemitglied am Burgtheater, bis er von Matthias Hartmann unsanft hinauskomplimentiert wurde. Er sagt: „Ich liebe das Theater, den Probenprozess. Ich habe das sehr vermisst.“ Maurer und Köstlinger sind seit vielen Jahren ein Paar.

Zur Person: Maria Köstlinger

ist eine fixe Theatergröße in der Josefstadt und seit 2023 auch Kammerschauspielerin. Wie Juergen Maurer ist sie auch eine erfolgreiche und beliebte Serien- und Filmschauspielerin. Sie sagt: „Als Eltern will man ein glückliches Kind. Wurscht, wie.“ Maurer und Köstlinger haben jeweils eine Tochter aus früheren Beziehungen. Beide sind im Theater- beziehungsweise im Musicalbereich tätig.