Liebe und Tod – live im Netz
„Romeo und Julia“ in Zeiten von Social Media. Philip Venables’ bejubelte Oper „Denis & Katya“ beruht auf der wahren Geschichte zweier Teenager, deren Schicksal via Internet um die Welt ging. Der Komponist über seinen Anreiz, seine Vita und aktuelle Pläne.
Die Situation ist verstörend. Zwei junge Liebende verstecken sich in Russland vor ihren Eltern in einer Hütte und werden dort von der Polizei aufgespürt. Als die Situation zu eskalieren beginnt, lassen Denis Muravyov und Katya Vlasova per Social Media die Welt am Konflikt teilhaben. Langsam verschwimmen Realität und digitale Wahrnehmung, Akteure und Viewer befeuern einander. Am Ende sind Denis und Katya tot. Philip Venables, britischer Komponist mit Fokus auf soziale und politische Brisanz, hat aus dem Stoff eine mehrfach ausgezeichnete Oper gemacht, deren deutsche Fassung am 27. September in der Kammeroper ihre österreichische Erstaufführung erlebt.
Inspiration Facebook
„Ted Huffman (Autor und Regisseur, Anm.) hat 2016 von Denis und Katya auf Facebook gelesen und mich darauf aufmerksam gemacht. Wir haben damals gerade nach neuen Stoffen gesucht und über viele Themen diskutiert, aber diese Geschichte hat uns auch noch drei Monate später beschäftigt. Niemand weiß, was wirklich zu dieser Katastrophe geführt hat, obwohl so viel Material dazu existiert. Im Stück gibt es sechs Charaktere – zwei davon sind real –, aus deren Sicht die Ereignisse erzählt werden.“ Und zwar von zwei Darsteller*innen – Hasti Molavian und Timothy Connor –, die alle Rollen sowohl textlich als auch gesanglich übernehmen.
Die Titelpersonen selbst kommen in den 112 Mikroszenen, begleitet von vier Celli und Elektroklängen, nicht vor. „Denis & Katya“ ist übrigens Philip Venables’ erste Opernarbeit in Wien; vor zehn Jahren war er schon einmal bei Wien Modern präsent. „Ich habe Violine und Klavier gelernt, bin aber kein guter Musiker“, antwortet er auf die Frage, wie man eigentlich Komponist wird. „Eigene Musik zu schreiben ist aber etwas ganz anderes.“ Zwar studierte er an der Royal Academy of Music, findet aber den praktischen Zugang am wichtigsten.
„Mit Musikern und Sängern zu kooperieren, Wege zu finden, überhaupt gehört zu werden und seine Werke aufführen zu können, und aus diesen Erfahrungen wiederum zu lernen war in meinem Fall essenziell. Ich habe beim Komponieren aber immer eine klare Vorstellung von der Beziehung zwischen Musik, Dramaturgie und Text. Es ist viel mehr als eine visuelle Vorstellung, was mich leitet.“
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Ermächtigung auf der Bühne
Für die Bregenzer Festspiele arbeitete er zuletzt an einer Oper mit dem fantastischen Titel „The Faggots and Their Friends Between Revolutions“, die auf einem gleichnamigen, in New York angesiedelten Buch aus den 1970ern basiert. „Es ist eine Art Nacherzählung über Geburt und Tod des kapitalistischen Patriarchats aus der Sicht von queeren Menschen“, erklärt er lächelnd, „eine barocke Fantasie und im Gegensatz zu ‚Denis & Katya‘ fröhlich und voller Liebe.“
Wiewohl er immer wieder Bezüge zu LGBTIQ+ in seinen Werken herstellt und sich als queer identifiziert, sieht er sich nicht als Aktivist. „Aber es stimmt, dass manche meiner Arbeiten eine starke politische Meinung vertreten, was eine ermächtigende und integrierende Komponente auf der Bühne darstellt.“
Am 3. September leitet Philip Venables in der Kammeroper auch eine öffentlich zugängliche „Campus Masterclass“ mit Studierenden der Kunstuniversität Graz sowie den Sänger*innen Hasti Molavian und Timothy Connor.
Tagestickets dafür (à 10 Euro) sind via theater-wien.at erhältlich.
Zur Person: Philip Venables
Der Brite, laut „The Guardian“ „einer der besten Komponisten von heute“, schreibt Opern und Orchesterwerke. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählt die Sarah-Kane-Adaption „4.48 Psychosis“.