Letzte Chance: Dernièren im Burgtheater und in der Josefstadt
Einige Stücke stehen im Juni zum allerletzten Mal auf dem Spielplan. Wer es bislang noch nicht geschafft hat, sich „Drei Winter“ oder „Engel der Dämmerung“ anzusehen, hat jetzt die Chance dazu. Wir haben alle Dernièren des Burgtheaters und des Theaters in der Josefstadt in eine Liste gepackt.
Burgtheater
Abgefuckt – 3. Juni, Vestibül
„Ich glaube, Humor ist wesentlich, gerade um ernste Themen zu besprechen, besonders wenn es um Jugendliche geht. Komik kann ein willkommener Türöffner sein, um ein Gespräch auch über vermeintliche Tabuthemen zu beginnen“, sagt Regisseur Tobias Georg Jagdhuhn und lässt mit dieser Aussage zurecht vermuten, dass Humor und Komik auch in seiner Inszenierung des Stücks „Abgefuckt“ von Juli Maj Jakobsen wesentliche Rollen spielen. Das Stück begleitet die Schüler*innen Emil und Emma auf der schwierigen Suche nach sich selbst, in der sich ihre Wege immer wieder kreuzen. Gleichzeitig zeigt Jakobsen den Kampf gegen den sozialen Abstieg, in dem sich Emmas und Emils Eltern befinden.
Liebe Grüße... oder wohin das Leben fällt – 9. Juni, Vestibül
Mit viel Humor und Empathie erzählt der Autor Theo Fransz in seinem Stück von den Missverständnissen zwischen den Generationen – und vom kindlichen Blick auf die Alten, die doch selbst einmal Kinder waren und es vielleicht am Lebensabend auch wieder werden. Anja Sczilinski hat das Stück mit drei Ensemblemitgliedern des Burgtheaters – Rainer Galke, Dunja Sowinetz und Lukas Vogelsang – auf die Bühne gebracht. „Liebe Grüße... oder wohin das Leben fällt“ wurde mit dem Deutschen Kindertheaterpreis 2020 ausgezeichnet.
Drei Winter – 13. Juni, Burgtheater
Drei Jahreszahlen prägen das Stück von Tena Štivičić: 1945, Kriegsende und Beginn der Tito-Ära; der sich ankündigende Zerfall Jugoslawiens 1990; und das Jahr 2011, als sich Kroatien (als zweite Teilrepublik nach Slowenien) in die EU aufmacht. Die gesamte Handlung spielt in diesen drei Wintern in einem Haus in Zagreb: Die Familie Kos streitet sich, passt sich an, man verliebt sich und verliert sich wieder. Eine Welt nach der anderen wird um sie herum aufgebaut und wieder abgerissen. „Ich wollte für diese Familiengeschichte eine neue, internationale und überregionale Theatersprache finden. Bilder, die nicht realistisch sind, sondern eher psychische Zustände, Traumvisionen abbilden – sodass es auch auf der großen Bühne des Burgtheaters funktioniert“, sagt Regisseur Martin Kušej.
Wutschweiger – 15. Juni, Vestibül
Mit jeder Rechnung werden Ebenesers Eltern immer kleiner. Da ist es gut eine starke Freundin zu haben, die sich auskennt, die man um Hilfe bitten und auf die man sich immer verlassen kann.„Ebeneser hat eine unglaubliche Fantasie und versucht damit Dinge, die für Kinder eigentlich nicht erklärbar sind, zu erfassen. Ein gutes Beispiel ist, wie seine Eltern in seiner Vorstellung schrumpfen. Je größer der Stapel an Rechnungen wird, desto kleiner werden die Eltern. Auch diese Umkehr möchten wir im Bühnenbild zeigen“, so Regisseurin Anja Sczilinski. Mit viel Humor und Wärme erzählt „Wutschweiger“ über soziale Ungerechtigkeit, Ohnmacht und die Wichtigkeit von Freundschaft.
Muttertier – 18. Juni, Vestibül
Der geheimnisvolle, durchrhythmisierte Gewinnertext des Retzhofer Dramapreises 2023 von Leonie Lorena Wyss gleicht einer poetischen Traumsequenz, ist eine Partitur für drei Geschwisterstimmen. Am Krankenbett der Mutter erinnern sich die Kinder an ihre Kindheit, in der sie öfter sich selbst überlassen waren, und daran, wie es war, sich in die Traumwelt des Films Titanic zu flüchten, den sie immer und immer wieder nachgespielt haben. „Dass dieser Stahlkoloss von einem Thema nicht sofort sinkt, obwohl schon von allen Seiten das Wasser eindringt, liegt daran, dass das Stück trotz dieser Schwere eine leichtfüßige Form findet", sagt Jury-Mitglied Ferdinand Schmalz.
Die Ärztin – 20. Juni, Burgtheater
Der englische Regisseur und Autor Robert Icke ist bekannt für seine aufsehenerregenden Überschreibungen und Inszenierungen klassischer Texte. In seinen Bearbeitungen sucht er nach den radikalen Impulsen des Originals im Kontext seiner Zeit, um sie für ein heutiges Publikum erlebbar zu machen.„Die Ärztin“ ist an Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ angelehnt und rückt die Ärztin Dr. Ruth Wolff ins Zentrum der Auseinandersetzung. Sie verweigert einem Priester den Zutritt zu einem sterbenden Mädchen und wird daraufhin Ziel einer medialen Jagd.
Maria Stuart – 21. Juni, Burgtheater
Schillers „Maria Stuart“ ist vermutlich das berühmteste Königinnen-Drama der Welt. Außerdem: ein Politthriller, eine historische Überhöhung, eine leidenschaftlich geführte Auseinandersetzung mit jenen Fragen, die Schiller sein Lebtag umtrieben: Was ist Freiheit? Wie funktioniert Politik? Und wie kann das Theater immunisieren gegen den tödlichen Virus der Macht? In Martin Kušejs Inszenierung kann man Birgit Minichmayr als Maria Stuart und Bibiana Beglau als Elisabeth erleben.
Der nackte Wahnsinn – 22. Juni, Burgtheater
Der Regisseur ist mit seinen Nerven am Ende. In nicht einmal 24 Stunden wird die Theaterpremiere der Komödie „Nackte Tatsachen“ stattfinden, und das Ensemble versagt. Oder haben sich die Schauspieler und Schauspielerinnen gegen ihn verschworen? Michael Frayn benutzt in seiner berühmten Komödie das Spiel im Spiel im Spiel im Spiel und lässt uns durch diese (unendlich fortsetzbare) Entgrenzung über Wahrheit und Fiktion, Kunst und deren Produktion nachdenken und das Spiel und dessen kostbaren Freiheitsmoment feiern.
Theater in der Josefstadt
Der zerbrochne Krug – 23. Mai, Kammerspiele
„Heinrich von Kleist ist mit dieser schwarzen Komödie, an deren Ende die Machtpyramide kippt, eine bemerkenswerte Leistung gelungen“, sagt Ensemblemitglied Robert Joseph Bartl über Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. Nach seinem nächtlichen Übergriff in der Kammer der jungen Eve gelang dem Dorfrichter Adam zwar unerkannt die Flucht, aber ein Krug geht dabei zu Bruch sowie der Glaube an Eves Unschuld. Nun bringt Eves Mutter den Fall vor Gericht. Während der Dorfrichter durch die wirrsten Lügenkonstrukte versucht, dieses albtraumhafte Ereignis zu verdecken, ist die überraschend zur Inspektion gekommene Gerichtsrätin Walter an einer schnellen Aufklärung des Tathergangs interessiert. Auch wenn die Komödie bereits vor mehr als 200 Jahren zur Uraufführung gebracht wurde, wirkt der darin verhandelte Sachverhalt nahezu zeitlos: Mit vehementer Dreistigkeit versucht hier ein Mann, seine Machtposition zu sichern.
Sommergäste – 19. Juni, Theater in der Josefstadt
Man könnte es als groteskes Panorama der bürgerlichen Intelligenzija bezeichnen, diese in ihrer selbst gewählten Langeweile festsitzende Gemeinschaft, die Maxim Gorkij 1904, am Vorabend der russischen Revolution, auf Sommerfrische schickt. Weder Existenzängste noch Beziehungsprobleme können hier wirklich verhandelt werden, denn die Unfähigkeit, sich aus bestehenden privaten wie sozialen Mustern zu lösen, bringt Gorkijs Figuren in eine generelle Furcht vor dem Leben, die auch gesellschaftliche Auswirkungen nach sich zieht. „Regisseur Elmar Goerden hat aus "Sommergäste" eine geradezu anti-tschechowesk bunte Komödie mit dennoch viel Tiefgang macht, ist ein Glücksfall, den das glänzende Ensemble mit Brillanz ausspielt“, schrieb die Wiener Zeitung.
Engel der Dämmerung – 21. Juni, Kammerspiele
Der musikalische Theaterabend von Torsten Fischer und Herbert Schäfer nähert sich der Diva Marlene Dietrich auf intime Weise und lässt auf ihren außergewöhnlichen Lebensweg zurückblicken. Eine Paraderolle für Sona MacDonald, die über Marlene Dietrich sagt: „Sie war von Teenagerzeiten an eine verrückte Leidenschaft von mir. Wenn ich die Möglichkeit habe, berühmte Frauen zu spielen, die
tatsächlich gelebt haben, geht es nie darum, diese zu kopieren, sondern mich ihnen anzunähern. Sie war ja total konträr zu meinem Wesen. Ich bin eine Folgerin, sie war eine Bestimmerin.“
Die Kleinbürgerhochzeit – 23. Juni
Eine kleine Festgesellschaft zwängt sich an der engen Tafel zusammen auf Stühlen, die der Bräutigam selbst gezimmert hat. Der Brautvater nervt, die Braut ist schwanger, der Bräutigam eifersüchtig und die Verwandtschaft eine Zumutung. Von Brecht im Alter von 21 Jahren geschrieben, ist dieser Einakter eine böse, hoch unterhaltsame Komödie voll klugem Wortwitz. „In der Komödie schaut man den Menschen im Prinzip beim Scheitern zu. Das ist auch bei der Hochzeit in diesem Stück so. Das Lustige ist, dass sie oft an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Und das kann sehr entlastend für das Publikum sein“, sagt Katharina Klar.
Ein Volksfeind – 27. Juni, Josefstadt
Welchen Wert haben Wahrheit und moralische Verpflichtung in einer durchökonomisierten Gesellschaft? Wie kann ein gesellschaftlicher Wandel stattfinden, wenn die Angst vor Arbeitsplatzverlust und wirtschaftlichem Abstieg überwiegt? Schließen einander Wirtschaftlichkeit und Moral automatisch aus? Und: Welche privaten Kollateralschäden sind akzeptierbar beim Versuch sich selbst treu zu bleiben? In Ibsens 1882 veröffentlichtem Stück Ein Volksfeind stehen wirtschaftliches Interesse und moralische Verpflichtung einander unvereinbar gegenüber. Mit „Ein Volksfeind“ eröffnete David Bösch seine Ibsen-Trilogie an der Josefstadt.
Lulu – 27. Juni, Kammerspiele
„Lulu ist für mich eine selbstbewusste junge Frau, die, durch die Traumatisierungen in ihrer Kindheit und Jugend, von einem starken Überlebenssinn und dem Wunsch, geliebt zu werden, getrieben wird“, sagt Hauptdarstellerin Johanna Mahaffy. Sie gehört zu den bekanntesten und meistdiskutierten Frauenfiguren der Dramenliteratur. Einem Panoptikum der (männlichen) Weiblichkeitsentwürfe gleich, erregte die Wandlung der jungen Lulu von einer aufreizenden Lolita-Figur zur Femme fatale der Pariser Halbwelt die Gemüter der wilhelminischen Zeit und war Anlass für drei Gerichtsverhandlungen. Regisseur Elmar Goerden erforscht in seiner Bearbeitung das Feld zwischen uns und Wedekinds Stück.