Gerechtigkeits-Fanatiker
Tomasz Konieczny feiert gerade als Wotan in Zürich einen Mega-Erfolg. In Wien singt er Cardillac. Seine Markenzeichen: ein lichtdurchfluteter Bariton und Haltung, in politischen und kulturellen Belangen.
Haltung kann man nicht kaufen. Tomasz Konieczny will das auch gar nicht. Im Gegenteil, er hat so viel davon, dass er durchaus was an andere abgeben könnte. Demnächst singt der Bassbariton von Weltrang an der Staatsoper Cardillac und dann im Frühling im „Lohengrin“. Wir haben den Kammersänger zwischen den Vorstellungen in Zürich besucht.
In Zeiten von Corona waren Sie eine der lautesten Stimmen, die sich für freischaffende Künstler*innen eingesetzt haben. Jetzt nehmen Sie Stellung gegen Putin. Ist das Ihr Solidarność-Gen?
Ich glaube schon. Ich ertrage Ungerechtigkeiten einfach nicht.
Dann ist die derzeitige Situation nicht unbedingt dazu angetan, dass Sie in Ihrer Mitte sind ...
Ja. Ich empfinde es als unglaublich ungerecht, was derzeit auf der Welt passiert. Ich empfinde diesen Krieg als eine einzige Ungerechtigkeit und bin deswegen auch vollkommen auf der Seite der Ukraine.
Es gibt genügend Menschen, die sagen: Man muss Putin verstehen. Was sagen Sie denen?
Putin muss und soll man nicht verstehen, denn einen Wahnsinnigen kann man nicht verstehen. Den muss man einfach als Kranken betrachten – und Schluss. Wir Polen wussten immer, dass die Situation sehr fragil ist, und wir wussten auch immer, dass die Russen unberechenbar sind, und wir Polen wissen, wenn wir die Russen nicht stoppen, dann werden sie einfach immer weitermachen. Das, was ich hier sage, hat nichts mit einer Russen-Phobie zu tun. Wir Polen haben auch eine sehr kriegerische Geschichte mit der Ukraine. Hier geht es um etwas anderes: Es handelt sich hier um einen Kampf gegen die Ungerechtigkeit.
Viele Ihrer Kolleg*innen halten lieber still, als sich zu exponieren – wie kompliziert wird es mit Ihnen, wenn Sie zum Beispiel auf einen Regisseur treffen, der Dinge von Ihnen will, die Sie nicht wollen?
Es wird immer wieder das Regietheater kritisiert. Aber was ist das genau? Es geht nicht darum, ob wir modernes, altes, historisches oder Kostümtheater machen. Es geht darum, dass wir gutes Theater machen, und darum, dass Regie so gemacht wird, dass die Menschen etwas verstehen und wir eine Geschichte erzählen. Ich bin für jede geniale Idee eines Regisseurs sofort zu haben, da habe ich überhaupt nichts dagegen. Ich sage immer: Ich muss zuerst verstehen, was ich auf der Bühne realisieren soll, und wenn ich es verstehe, dann kann ich auch dazu beitragen, es weiterzuentwickeln.
Sie haben die „Walküre“ in mehr als einem Dutzend verschiedenen Produktionen gespielt, freut man sich da nicht auf etwas Neues?
Total. Wir Sänger müssen einfach das Gefühl haben, dass wir mit dem Regisseur partnerschaftlich agieren. Wie verrückt die Inszenierung ist, wie verrückt die Einfälle sind, ist wirklich egal. Wir müssen spüren, dass der Regisseur sein Handwerk versteht und dass er mit uns und dem Publikum ein Gespräch führen möchte.
... und wenn Sie merken, dass der Regisseur total daneben ist? Wie stark sind Sie als Sänger, dass Sie Ihre Meinung durchsetzen können?
(Lächelt.) Jeder von uns hat da seine eigenen Tricks, wie ich meine Interpretation und meine Gedanken zur Partie durchsetzen kann. Dass muss nicht unbedingt ein Streit sein, das kann dann auch während der Aufführung sein, die Regisseure können dann gar nichts mehr machen ... (lacht).
Es geht nicht darum, ob wir modernes oder altes Theater machen, es geht darum, dass wir gutes Theater machen.
Tomasz Konieczny
Das bedeutet, Sie verstehen die Emotionen, die bei der Diskussion um das Regietheater hochgehen.
Ja, aber anders, als Sie vielleicht glauben. Es ist doch wunderbar, dass Oper so sehr emotionalisiert, dass Menschen streiten. Darum geht es doch im Theater: große Emotionen zu wecken. Wut alleine ist eine solche Emotion – und im Prinzip geht es ja darum, die Menschen zu bewegen. Jetzt in Zürich haben wir gemeinsam mit Regisseur Andreas Homoki ausgelotet, wie weit wir mit meinem Wotan gehen können, wie weit es noch für das Publikum akzeptabel ist, wie weit dieser Mensch stürzen kann; und er kann vom Anfang bis zum Ende wirklich weit fallen. Hier in Zürich ist der Idealfall eingetreten, dass wir etwas völlig Neues erschaffen haben und es vom Publikum und uns Sängern geliebt wird.
In Wien werden Sie auch geliebt, besonders sogar. Der Titel Kammersänger wird einem ja nicht einfach so nachgeworfen.
Das ist richtig. Ich war so berührt, als ich diese Auszeichnung bekommen habe, dass mir die Tränen gekommen sind. Es ist so ein großartiges Haus mit großartigen Möglichkeiten, in dem ich sehr, sehr gerne singe.
Als Erstes machen Sie die Wiederaufnahme von „Cardillac“, warum?
Weil man mich gefragt hat, weil ich Sänger bin und weil die Wiener Staatsoper immer für mich Vorrang hat. Aber ich würde sagen, dass diese Vorrangstraße nicht im vollen Umfang genutzt wird.
Würden Sie gerne mehr an der Staatsoper machen?
Ja. Es gibt Partien, in denen ich dem Publikum wirklich das Allerbeste anbieten kann – ich werde diese Partien jetzt nicht verraten, aber die Staatsopern-Leitung weiß Bescheid, was ich meine (lächelt). Cardillac ist allerdings eine wunderbare Rolle, eine Wunschpartie von mir. Ich finde die Bechtolf-Inszenierung großartig, sehr schön und kompakt.
Im Frühling sind Sie dann im „Lohengrin“ zu sehen, gemeinsam mit Camilla Nylund und Piotr Beczała – eine tolle Besetzung.
Ach, das ist nichts Ungewöhnliches. Ich würde einfach sagen: Ich gehöre dazu. (Lacht herzlich.)
Eine letzte Frage: Warum gibt es eigentlich nur Tenor-Witze und keine Bassbariton-Witze?
Vielleicht weil Tenöre mehr darauf konzentriert sind, den eigenen Apparat zu beobachten, und wir eher inhaltlich involviert sind (lacht). Aber tiefe Stimmen kommen bei Frauen besser an. Ich weiß es nicht so genau – es wäre ein gerechter Ausgleich (lacht).