Zweite Reihe, sechster Platz.

Regisseurin Mateja Koležnik hat alle wichtigen Zahlen zu ihrer allerersten Theatererfahrung parat. Auch die vierstündige Anreise hat sie weder verdrängt noch vergessen. Weil es in Metlika, jener Kleinstadt im Osten Sloweniens, in der Koležnik geboren und aufgewachsen ist, kein Theater- oder Opernhaus gab, ging es für sie und ihre Mitschüler*innen mit dem Zug nach Ljubljana, um „ein sehr klug ausgewähltes Stück“ anzusehen, erinnert sich die Regisseurin, die wir auf der Probebühne des Burgtheaters im Arsenal treffen. „Sie können sich bestimmt vorstellen, wie es in einem Waggon voller Pubertierender aussieht – Chips, Süßigkeiten und mit- geschmuggelter Alkohol.“

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Mateja Koležnik lacht. Und sie hat gut lachen, denn an jenem Theaterabend ist etwas passiert, das sich – obwohl sich jede zu diesem Ereignis gehörende Ziffer in ihr Gedächtnis eingebrannt zu haben scheint – mit Zahlen nicht ermessen lässt.

„Ich habe auf dieser Bühne den allerbesten Streit zwischen Vater und Sohn erlebt. In diesem Moment ist ein völlig neues Universum für mich aufgegangen, denn ich habe gesehen, dass man sich auf diese Weise mit dem eigenen Vater streiten kann. Für mich war das pure Magie.“

Sie lacht wieder – und zwar auf eine Weise, die durchblicken lässt, dass sich hinter ihrer direkten, im ersten Moment beinahe kühl anmutenden Art ein ziemlich rebellischer Geist verbirgt.

Gefühle glaubhaft spielen

Auch heute noch sind genau das jene Momente, die sie in ihrem Glauben bestärken, dass wir uns um die Zukunft des Theaters keine Sorgen machen müssen.

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„Es gibt einen Energieaustausch, wie man ihn sonst in keiner anderen Kunstform findet. Die Erfahrungen, die die Figuren durchleben, werden auch für die Zuschauer*innen körperlich spürbar – ohne dass diese sie selbst durchmachen müssen. Dadurch erscheinen vielleicht auch Reaktionen nachvollziehbar, die man zuvor nicht verstanden hat“, erklärt Koležnik.

An der Kraft des Theaters würde die gebürtige Slowenin, die bereits zum vierten Mal am Burgtheater inszeniert, also nie zweifeln, an sich selbst hingegen umso mehr. „Ich bin obsessiv und neurotisch“, fasst sie zusammen. Und meint das auch haargenau so. „Sogar nach der Premiere wache ich manchmal mitten in der Nacht auf, weil mir einfällt, wie ich etwas anders hätte machen oder lösen können. Außerdem bereite ich mich akribisch auf meine Inszenierungen vor und lese unglaublich viel.“

Sie versuche zunächst immer, die Charaktere auf psychologische Weise zu ergründen und auf Basis dessen genau zu verstehen, warum sich gewisse Situationen in bestimmte Richtungen entwickeln, sagt Mateja Koležnik. „Für die Spieler*innen kann das ziemlich hart sein, weil sie mit eigenen Vorstellungen zu ihren Rollen zur Probe kommen. Decken sich ihre und meine Ideen, steht uns ein wunderschöner Weg bevor; gehen sie hingegen auseinander, kann mitunter sehr viel Reibung entstehen.“ Weil sie nicht davor zurückscheut, tief in die Abgründe ihrer Figuren hinabzusteigen, liegt ihr Fokus vor allem auf dem Netz an Emotionen, das sich im Laufe eines Theaterabends entspinnt. Das hätte auch viel mit ihrer Herkunft zu tun, wie die Regisseurin gerne betont. Gefühle glaubhaft zu spielen sei etwas, was im slowenischen Theater tief verankert ist.

Der einsame Westen
Kein Entkommen. In ihren beinahe klaustrophobisch anmutenden Bühnenräumen treffen Menschen in emotionalen Extremsituationen aufeinander. So auch das Personal aus Horváths Stück „Kasimir und Karoline“. Das Ensemble des Burgtheaters ist für Mateja Koležnik das beste in ganz Europa.

Foto: Matthias Horn

Zustand und Haltung

Mit dem Stück „Der einsame Westen“ des irischen Theaterautors Martin McDonagh kehrt die Regisseurin in gewisser Weise zu ihren Theaterwurzeln zurück. Mateja Koležnik erklärt: „Als ich zu inszenieren begonnen habe, schwappten gerade all die Texte des ‚New English Drama‘ zu uns herüber. Ich habe rasch erkannt, dass vor allem in den Stücken von McDonagh eine ausgeprägte Filmästhetik steckt. Und ich sollte recht behalten, schließlich ist er heute vor allem als Filmregisseur (u. a. „Banshees von Inisherin“, Anm.) bekannt. Das hat wiederum meine eigene Herangehensweise und Ästhetik sehr geprägt.“
„Der einsame Westen“, das in dem winzigen irischen Ort Leenane spielt, ist ein Stück über Gemeinschaft und eine genaue Studie zum Thema Einsamkeit, bringt es Koležnik, deren klirrend klare Klinge Martin Kušej vom ersten Treffen an begeisterte, auf den Punkt. Die Brüder Valene und Coleman, die sich durchgehend in den Haaren liegen, seien in einer Spirale aus Obsessionen, unendlichen Wiederholungen und Gewaltfantasien gefangen, so Koležnik, die ihre Stücke gerne auf weniger als zwei Stunden einkocht, um dabei ein intensives Konzentrat entstehen zu lassen. Aufgrund der Ausweglosigkeit ihrer Situation erinnere sie das Stück an manchen Stellen zudem sehr an Beckett. „Und der Text zeigt auch, was mit einem passiert, wenn man niemals Liebe und Empathie erfahren hat.“

Dass sich ihre Figuren häufig in engen Hinterzimmern, beklemmenden Zwischenräumen und mitunter auch hinter Türen und Wänden aufhalten, hat viel mit ihrer Liebe für Thriller zu tun, sagt sie lachend. Und mit ihrer Faszination für Subtext. „Meine Figuren bewegen sich stets auf einem schmalen Grat zwischen Zustand und Haltung. Ihren eigentlichen Zustand versuchen sie zu verstecken, doch irgendwann entsteht ein Riss, und er offenbart sich“, fasst sie zusammen.

Beim Interview: keine Spur von Subtext. Dafür: jede Menge gefühlter Wahrheiten – und zwar nicht im bekannten, sondern im allerbesten Sinne.

Zur Person: Mateja Koležnik

wurde 1962 in Metlika in Slowenien geboren. Sie inszenierte an allen großen Theatern des ehemaligen Jugoslawien und seit 2012 auch an zahlreichen Häusern im deutschsprachigen Raum. Sie ist NESTROY-Preisträgerin und wurde mit ihrer Bochumer Inszenierung „Kinder der Sonne“ im vergangenen Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Hier zu den Spielterminen von „Der einsame Westen“ im Burgtheater!