Freibrief von Julya Rabinowich: Bücher, die man verbieten wollte
Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat kassandrisch vorausgesagt, was in den USA gerade passiert: Frauenverachtung, die Herrschaft durchgeknallter religiöser Fanatiker.
Jetzt, wo sich Staub und Debris des Wahlkampfes gelegt haben, die letzten Tränen des ersten Schocks getrocknet, die ersten frauenfeindlichen Siegesröhrer verhallt, die Albträume vieler noch nicht manifest geworden sind: Genau jetzt ist es Zeit, die amerikanischen Wählerinnen anzusprechen. Auch sie waren ein Zünglein, ja eine Zunge an der Waage.
Auch sie waren Zeuginnen und Zeitzeuginnen der um sich greifenden Frauenverachtung – ja eigentlich eines lodernden Frauenhasses, der sowohl von Kandidat Donald Trump als auch von Kandidat J.D. Vance ausging. Sie waren Zeuginnen der Folgen verbotener Abtreibungen. Sie waren Zeuginnen des Wunsches, Frauen in eine Hölle aus den Fünfzigerjahren zu verbannen, aber Fünfzigerjahre nicht in den USA, sondern im Science-Fiction-Staat Gilead, den Margaret Atwood geradezu kassandrisch vorhergesehen hat.
Ein Wunder, dass man sie noch nicht als Hexe verbrennen wollte! Ihr Buch, in dem sie die Herrschaft durchgeknallter religiöser Fanatiker beschreibt, die über Frauenkörper bestimmen, hat man ja ebenso prophetischen Weitblickes bereits in feuerfester Form herausgegeben. Und es ist auch eines der Bücher, die manche verbieten wollten. Man wird schon wissen, warum. Aber es ist Zeit, jene Frauen anzusprechen, deren Zukunft sich in der nunmehrigen Gegenwart postpartal dieser Wahlen entfaltet. Unter der Herrschaft eines durchgeknallten Fanatikers, der über Frauenkörper bestimmen will. Grab them by the pussy.
Viele von euch haben versucht, dem entgegenzustehen. Und haben die Kandidatin gewählt, die für Frauenrechte und für Transparenz, für ein gutes Leben für alle und für einen selbstbestimmten Gegenentwurf zu Gilead gestanden ist. Eine selbstbewusste, unerschrockene, gebildete Frau, die alles ist, was Donald Trump nicht ist. Die Mehrheit dieser Frauen waren nicht weiß. Sie hatten die geballte Verachtung als solche erkannt und wollten ein besseres Leben: für sich, für ihre Töchter und Enkeltöchter.
Diese Stimmen waren leider nicht ausreichend. Denn viele der weißen Frauen wählten lieber einen Sexualstraftäter und Frauenverachter, einen, der das Leben ihrer Töchter und Enkeltöchter problemlos und ohne mit der Wimper zu zucken in große Gefahr bringen würde. Nur, um keine schwarze Frau zur Präsidentin zu wählen.
Als traurige Draufgabe: Eher wählten auch viele schwarze Männer einen hasserfüllten Rassisten, als dass sie eine schwarze Frau wählen würden. Es ist sehr bitter, das mitansehen zu müssen. Denn, trotz allem Unverständnis und auch Zorn, die eine beim Zusehen der Entwicklungen vor und nach der Wahl ergreifen, sehe ich vor allem eine flammende Schrift an der Wand, die alle Wählerinnen beschreibt, und diese Schrift lautet: Frauen Amerikas! Ihr wurdet allesamt verraten. Aber es ist manchen von euch noch nicht bewusst.
Diese Erkenntnis wird langsam, wird schleichend kommen, und wenn sie endgültig da ist, wird es zu spät sein, um etwas an diesem Verrat ändern zu können. Schon mehrere Tage nach den Wahlen mehrten sich übrigens verbale Attacken auf Frauen.
„Your body, my choice!“, tönte es schadenfreudig und machtbesoffen auf Social Media und auch auf der Straße, sogar in Schulen. Trump war offenbar ein gutes Vorbild. Alle, die das cool und gut und richtig finden, seid gewarnt. Das Äquivalent zu diesem Spruch ist ein Tritt in die Hoden. Your body, my choice. Überlegt es euch also gut.