Ein Punschkrapferl von einem Stück …
… außen rosa, innen braun, durchtränkt von Alkohol. Sind wir Österreicher so? Fritz Hochwälder hat 1965 darüber eine große, böse Komödie geschrieben– quasi ein Spin-off des „Herrn Karl“. Jetzt wird das Stück in den Kammerspielen neu entdeckt.
Es ist eine Nachbarschaft für die Ewigkeit. Zentralfriedhof, Gruppe 33 G, Nr. 73 und 74. Da liegen sie (vermutlich) friedlich nebeneinander und haben’s (hoffentlich) lustig. Der von Nummer 73 ist am 29. September 1986 gestorben.
Der von Nummer 74 am 20. Oktober 1986. Helmut Qualtinger und Fritz Hochwälder. Während der eine noch immer eine Ikone der Schauspielkunst ist, ist der Autor Hochwälder – beinahe – vergessen. 1965 hat der eine für den anderen das (Fernseh-)Stück „Der Himbeerpflücker“ geschrieben – eine Abrechnung mit dem kollektiven Verdrängen der Nazi-Zeit. Es ist „eine Komödie in drei Akten“, wie Hochwälder schrieb. Eine Komödie, wie sie nur in Wien entstehen kann: mit lautem Lachen, das einem irgendwann im Hals stecken bleibt.
Der Dieb Alexander Kerz steigt mit seiner Freundin Grappina im Wirtshaus Zum Weißen Lamm ab. Alle glauben, er sei der Himbeerpflücker, ein Naziverbrecher, der im nahen KZ sein mörderisches Unwesen getrieben hat. Kerz lässt den Wirt und Bürgermeister, der sich selbst am Zahngold der Ermordeten bereichert hat, sowie den Rest des Dorfes in dem Glauben. Vorerst. Doch dann eskaliert alles.
Stephanie Mohr führt Regie. Ulrich Reinthaller spielt Alexander Kerz, Martina Stilp (gerade Nestroy-nominiert) dessen Freundin Grappina.
In den ersten beiden Jahrzehnten nach Kriegsende dominierten Hochwälders Dramen (er war vor den Nazis in die Schweiz geflüchtet, seine Eltern waren im KZ gestorben) die deutschsprachigen Bühnen. Hochwälder war eine Zeitlang der am meisten gespielte österreichische Dramatiker, international hoch angesehen. Nach 1959 begann das Interesse an ihm jedoch stetig abzunehmen.
Wir treffen Stephanie Mohr im Café Korb in der Wiener Innenstadt und fragen nach dem Warum. „Hochwälder hat einzigartige Stücke geschrieben, aber in den Siebzigern gab es einen Aufbruch in andere Theaterformen. Seine Stücke sind allerdings in ihrer Form nicht in einer Zeit verortet. Ein Stück wie ‚Der Himbeerpflücker‘ hat noch immer seine Aktualität.
Hochwälder hat nicht über die Nazi-Verbrechen geschrieben, sondern über das Verdrängen. Über die Traumata, die bei Opfern und Tätern entstehen, und wie der Verrat, die Empathielosigkeit bis ins Unendliche multipliziert werden können. All das hat er als Komödie verpackt, denn das Lachen macht es einfacher, etwas zu verdauen. Auch, weil es das Erschreckendste lächerlich macht und es dadurch sichtbarer wird.“
Stephanie Mohr wird das Stück in der Zeit lassen, in der es geschrieben wurde. „Einem Stück zwanghaft einen Stempel aufdrücken? Nein, das bin ich nicht.“ Sie mag die berühmte Redewendung, dass Österreich wie ein Punschkrapferl sei: „Außen rosa, innen braun, mit Alkohol durchtränkt. Das kennt man von den Bierzeltreden, wenn der Sumpf im Suff nach oben gekotzt wird.“
Welche Art von Denken fehlt heutzutage, Herr Steinhauer?
Peter Turrini hat ein großes Stück zur Zeit geschrieben, Erwin Steinhauer und Herbert Föttinger werden die Hauptrollen spielen. Ersterer war lange weg von den großen Theaterbühnen – einer von vielen Gründen, den Publikumsmagnet zu treffen. Weiterlesen...
Ein Stück, das Ängste weckt
Sechs Fahrradminuten entfernt, direkt neben dem Bühneneingang des Theaters in der Josefstadt, ist die Theaterkantine. Da treffen wir die Publikumslieblinge Martina Stilp und Ulrich Reinthaller. Einen „levantinischen Typ Mitte fünfzig“ hat sich Hochwälder für die Rolle des Alexander Kerz gewünscht. Kriegt er jetzt an der Josefstadt. Egal mit wem man über den „Himbeerpflücker“ spricht – die Kurve ins politische Jetzt wird sofort genommen. Viele Menschen machen sich wieder Sorgen, haben Angst vor einem Comeback des Inhumanen. So wie auch Ulrich Reinthaller. Als Kerz spielt er so lange die ihm angedichtete Rolle des Naziverbrechers, bis es ihm reicht, er sich als Juwelendieb outet und prompt im Gasthof als „Jud“ abgestempelt wird – der er ebenso wenig ist wie der Mörder zuvor.Eine Frage der Mehlspeise.Sind wir Österreicher politische Punschkrapferl? Reinthaller: „Ich finde, das Stück ist wie ein Spin-off vom ‚Herrn Karl‘: die Bereitschaft, so lange verlogen zu sein, wie es nötig ist, und dann, wenn es wieder salonfähig ist, fallen alle Schranken. Es ist die gezähmte Natternbrut, die da lauert.“Kann da Theater gegensteuern und die Welt verändern?
Ulrich Reinthaller setzt sich gerade: „Ein Satz, ein Wink kann das Leben verändern. Wenn ich das nicht für möglich halten würde, würde ich ab heute nicht mehr die Bühne betreten. Ich glaube ans Positive, aber man muss damit rechnen, dass es davor eine lange Durststrecke des Negativen gibt. Ich glaube an die Veränderungsmöglichkeit des Theaters, des Redens.“
Warum ändert sich nie was? Martina Stilp ist lange ruhig danebengesessen, sie hat zustimmend genickt. Stilp spielt Grappina, die trinkfeste Freundin von Alexander Kerz. Grappina sieht nur die Vorteile der Nazi-Verwechslung, will, dass Kerz die Rolle weiterspielt. Als er sich weigert, fällt sie ihm in den Rücken. Auch Martina Stilp macht sich Sorgen: „Ich habe das Gefühl, dass sich eigentlich nichts ändert. Es geht immer eine Zeitlang gut, aber dieses nationalistische Denken und das Rückgratlose sind im Menschen tief verankert, es braucht nur einen Anlass, dass es aufbricht.“ Woher kommt das Gefühl, dass sich nichts ändert?
Martina Stilp: „Es hat etwas mit dem Rückgrat zu tun. Im ‚Himbeerpflücker‘ wird dieser Opportunismus großartig gezeigt, dieses Sich-Wenden nach dem jeweiligen Licht.“ Martina Stilp – Nestroy-nominiert – freut sich auf die Rolle: „Es ist eine Komödie, die das Gefährliche in uns Menschen an die Oberfläche spült. Es gibt Sätze, die traut man sich kaum zu sagen, so arg klingen sie.“ Stilp macht eine Pause und ergänzt: „Außerdem habe ich den schönsten Rollennamen, den ich je hatte. Grappina. Klingt nach Fellini.“ Sie lächelt dabei und lässt das Gespräch mit etwas Positivem enden: dem Wissen, dass jeder das Böse verhindern kann.