Der dritte Streich: Dead Centre über „Katharsis“
Ein Theaterabend als Anatomiestunde. In ihrer dritten Arbeit am Burgtheater beschäftigt sich das britisch-irische Regie- und Autoren-Duo Dead Centre mit dem Körper als Reservoir von Geschichten. Und stellt sich dabei Fragen wie: Wer darf wen verkörpern?
Im Grunde ist diese Theatersache ja schnell erklärt: Der Vorhang geht hoch, ein Mensch steht auf einer Bühne. Vielleicht sind es auch mehrere, die gar nicht stehen, sondern gehen, sitzen, liegen, rennen oder sich unterhalten. Aus der Dunkelheit des Zuschauer*innenraums folgen ihnen unzählige Augenpaare auf Schritt und Tritt. Vielleicht sind manche von ihnen nur noch halb geöffnet, der Ballast des Tages, die wohlige Wärme im Saal und das schwere Parfum der Sitznachbarin drücken auf die Augenlider.
So weit, so gut. Wäre da nicht auch noch dieser Theaterzauber, der jede derartige Vereinfachung unmöglich macht. Es ist also doch nicht so einfach mit dem Theater. Zum Glück, muss man sagen – sonst wären wir hier bei der BÜHNE arbeitslos und hätten nicht die Chance, mit solch spannenden Theatermachern wie Ben Kidd und Bush Moukarzel zu sprechen.
Ein Stück für alle Fälle
Wenn Dead Centre Wittgenstein inszenieren, hat das nichts mit Frontalunterricht zu tun. Eine Konfrontation ist es trotzdem – mit dem scheinbar Unmöglichen. Weiterlesen...
Wir treffen die beiden Gründer des britisch-irischen Regie-Duos Dead Centre im Arsenal. Die Probe für „Katharsis“, ihre dritte Arbeit in Wien, ist gerade vorbei, es herrscht Aufbruchsstimmung. Die Inszenierung, so viel darf bereits verraten werden, beginnt so ähnlich wie dieser Text – nämlich mit der Feststellung, dass Theater dann entsteht, wenn sich die Blicke der Zuschauer*innen auf einen menschlichen Körper richten.
Ein Kaleidoskop an Geschichten
Doch bei dieser Beobachtung allein bleibt es nicht, denn hinter diesem scheinbar ganz normalen Vorgang steckt sehr viel mehr, wie Bush Moukarzel erklärt. Vor allem: sehr viel Macht. „Fragen, die uns in diesem Zusammenhang interessieren, sind unter anderem: Wer darf wen verkörpern? Wer spricht überhaupt und warum?“, ergänzt der Theatermacher. „Dass wir begonnen haben, uns für diese Fragestellungen zu interessieren, war zu einem kleinen Anteil auch der besonderen Beziehung der Wiener*innen zu ihren Schauspieler*innen geschuldet“, fügt Ben Kidd hinzu.
Detail am Rande: Ein Friseurbesuch öffnete ihm diesbezüglich die Augen. Den eigentlichen Anstoß für die Arbeit gab jedoch Olga Tokarczuks 2007 erschienenes Buch „Unrast“ – ein Kaleidoskop an Geschichten, das sich über mehrere Jahrhunderte und unzählige Orte spannt. Und damit perfekt zu den Theaterprojekten des Regie-Duos passt. „In Tokarczuks Roman steckt für uns unter anderem der Gedanke, dass jeder Körper ein Reservoir von Geschichten ist. Dass man das Leben eines Menschen lesen kann, indem man seinen Körper untersucht“, so Mourkarzel.
Außerdem stolperten sie im Lauf ihrer Recherche über die Geschichte Josephine Salomons, die sich nach dem Tod ihres im heutigen Nigeria geborenen und 1796 in Wien verstorbenen Vaters dafür einsetzte, dass sein Körper begraben und nicht länger im Hof-Naturalien-Cabinet ausgestellt wird. „Darüber landeten wir unter anderem auch bei der Geschichte Antigones“, ergänzen die beiden, bevor wir uns verabschieden.
Ein Gedanke zur Anatomie der Inszenierung scheint schon jetzt naheliegend: Der Weg zum Herz des Theaterabends wird auf vielen verschiedenen, mit Sicherheit augenöffnenden Bahnen verlaufen.