Angelika Hager: Burg, Party, Licht
Die Eröffnungswoche von Stefan Bachmann jazzt die Theaterlust hoch, schreibt Angelika Hager in ihrer neuen Kolumne.
Ländermatchstimmung unter den Kulturettis. Ich glaube, der neue Burgtheaterdirektor selbst hat noch nicht richtig realisiert, was es bedeutet, im theaternärrischen, publikumslieblingsgesteuerten Wasserkopf-Wien Direktor der „Dichtervernichtungsanstalt“, wie Thomas Bernhard gewohnt perfid-zärtlich das Burgtheater einst genannt hat, zu sein. Man hat quasi Popstar-Status, ist aber auch irgendwie öffentliches Eigentum – auch von jenen Menschen, die aus Schwellenangst nie einen Fuß in das Haus am Ring gesetzt haben, aber natürlich dann umso mehr Meinung loswerden wollen.
Nicht rasend originell, aber irgendwie klar, dass man zum Auftakt einen Blockbuster-Klassiker wie „Hamlet“ in die Eröffnungsarena donnern lässt. Ein Stück, das die inzwischen pensionierte Toilettenbetreuungs-Legende Veronika Fileccia quasi als Trinkgeld-Vernichtungsmaschine klassifiziert hatte, weil in der damals fünfstündigen Inszenierung von Andrea Breth, wo jeder Beistrich angespielt wurde, die Damen so launengeplättet „von die vülen Toten“ waren, dass nichts mehr klimperte. Hohen Entertainmentfaktor besitzt hingegen Karin Henkels „Hamlet“ in der ersten Hälfte. Michael Maertens, später der böse Stiefvater des depressiven Dänenprinzen, legt mit einer Eröffnungsszene als Geist, der das Vexierspiel zwischen Illusion und Realität eröffnet und gleichzeitig wie ein machtgeiler Sprechprofessor des Max Reinhardt Seminars über die richtige Intonierung der Sätze philosophiert, eine Nummer hin, für die ihm Szenenapplaus gebührt hätte.
Das Konzept, den offensichtlich auch an einer multiplen Persönlichkeitsstörung laborierenden Titeltragöden mit mehreren Schauspielern zu besetzen, funktioniert eine gute Weile, zerbröselt dann gegen Schluss. Offensichtlich stand die Regisseurin unter Zeitdruck. Trotzdem ein denkwürdiger Abend, der neue Kaliber wie den heftig gehypten Benny Claessens, Kate Strong und Tim Werths mit starken Burg-Playern wie Katharina Lorenz, Marie-Luise Stockinger und eben Maertens zeigt.
Ein Theaterjuwel, wie man es in dieser Perfektion von Ensemble, Text, Regie und visueller Gestaltung nur selten findet, ist die Dramatisierung von „Johann Holtrop“, einem Roman von Rainald Goetz (Sie wissen schon, der Rasierklingen-Gesichtszerschneider beim Bachmann-Wettbewerb 15 vor Christus), einem Köln-Import des neuen Direktors. Was Melanie Kretschmann im Part des narzisstisch-menschenverachtenden Konzernchefs Holtrop (modelliert nach dem ehemaligen Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff ) da hinlegt, ist tatsächlich unfassbar beeindruckend. Vor vielen Jahren führte ich knapp nach dessen vorzeitiger Haftentlassung ein Telefoninterview mit Middelhoff, der seine Memoiren „A 115 – Der Sturz“ unter die Menschen bringen wollte. Seine Selbsterkenntnis war so simpel wie einleuchtend: „Ich war immer weniger ich selbst, das hat mir geschadet.“
„Funken“: Die Systemsprenger
Jung. Begabt. Smart. Divers. In Till Wiebels preisgekröntem Stück „Funken“ zeigt eine Gruppe couragierter Teenager, wie weit man mit Empathie, Solidarität und Idealen kommen kann. Die Macht des Widerstands endet nicht einmal auf dem Mond. Weiterlesen...
Womit eine elegante Überleitung zu „Orlando“, der dritten Premiere im Akademietheater in der neuen Direktion, gefunden wäre, die mich etwas ratlos entlassen hat. Sehr manierierte Angelegenheit nach dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf, den man vor dem Besuch des Stücks genau lesen sollte, um nicht im Ozean der Verständnislosigkeit treiben zu müssen.
In jedem Fall pulsierten in allen drei Fällen die Häuser, glückliche Gesichter, viel Gejohle und Anerkennungsschreie im Publikum (nicht nur von der Verwandtschaft der Mitspieler), großzügig ausgeschenkte Spritzer um drei Euro, tout Vienne war da und vibrierte. Ein Freund und Großkritiker brachte es beim Après im Vestibül auf den Punkt: „Endlich gehört das Burgtheater wieder uns.“ Und mit uns meinte er „uns, dem Publikum“.