Anekdoten zum 90. Geburtstag von Thomas Bernhard
Am 9. Februar wäre der Ausnahmeliterat Thomas Bernhard 90 Jahre alt geworden. Wir haben mit Schauspielerinnen, Schauspielern und einem Dramaturgen über ihre Beziehung zum Übertreibungskünstler Bernhard gesprochen.
Die eigene Beziehung zu Thomas Bernhard ist meist darauf gegründet, welche seiner Romane und Erzählungen man als mehr oder weniger verwirrter Teenager im Deutschunterricht lesen musste. In vielen Fällen ein solides Fundament, um verschiedene Ausformungen der vielzitierten Hassliebe entstehen zu lassen. Dass es sich dabei um einen Zustand handelt, der dem Autor selbst sehr nahe war, muss an dieser Stelle wohl kaum weiter ausgeführt werden. Für viele bleibt der Beziehungsstatus zum Sprachkünstler Thomas Bernhard nämlich ein Leben lang vor allem eines: kompliziert. Doch auch in dieser Kompliziertheit steckt eine besondere Vielschichtigkeit – und in sehr vielen Fällen außerdem ein Übermaß an Liebe. Das man aber vielleicht erst nach und nach entdeckt. Um ein paar solcher Entdeckungsreisen kennenzulernen, haben wir einige Ensemblemitglieder des Burgtheaters und des Theaters in der Josefstadt nach ihrer Beziehung zu Thomas Bernhard gefragt.
Thomas Bernhard im Theater
Im Burgtheater wird, sobald es wieder möglich ist, das Stück „Die Jagdgesellschaft" zu sehen sein. Es spielen unter anderem Maria Happel, Markus Scheumann und Martin Schwab, die sich hier ebenfalls zu Wort melden. Im Theater in der Josefstadt feierte am 17. September 2020 „Der deutsche Mittagstisch" in einer Inszenierung von Claus Peymann Premiere. Aber nun zu den Kommentaren und Anekdoten:
„Wir spielen ‚Der Ignorant und der Wahnsinnige' im Berliner Ensemble! Kurz vor Beginn der Vorstellung ist Traugott Buhre, der den blinden Vater der ‚Königin der Nacht‘ spielt nicht da und die Aufregung riesig! Endlich erreicht man seinen Sohn, der dem Theater mitteilt, dass er ihn vor 20 Minuten noch gesehen hätte – allerdings in Düsseldorf! – Was nun? Kurzentschlossen springt Hermann Beil, unser Dramaturg ein. Nach einer kurzen Ansprache ans Publikum, macht er sich die Blindenbinde um den Arm, setzt die Brille auf und liest die Rolle des Vaters. Ich bin sicher, diese Absurdität hätte Bernhard gefallen."
Maria Happel, Ensemblemitglied des Burgtheaters
„Meine Begegnung mit Thomas Bernhard war eine große Herausforderung. Es handelte sich um die Rolle der Anne Meister im Stück ‚Über allen Gipfeln ist Ruh‘ am Theater in der Josefstadt 2002. Eine Uraufführung. Die Anne Meister preist darin temperamentvoll und überdreht das Talent, die Leistungen ihres schriftstellerisch berühmten und von allen verehrten Mannes an, während sie gleichzeitig minuziös den Frühstückstisch deckt. Dabei den Tisch millimetergenau ausrichtet, das Tischtuch darüberlegt, die Falten und Knicke herausstreicht, den Abstand der Teller ausmisst, das Besteck nachpoliert, die Kaffeetassen, die Servietten, nichts darf ab- oder überstehen, am Schluss den Platz ihres Göttergatten Moritz Meister mit einer frischgedruckten, noch nicht betatschten Zeitung schmückt.
Der Bernhard will uns Schauspieler in den Wahnsinn treiben. Vierzig bis fünfzig Minuten alleine ohne Punkt und Komma die kompliziertesten Texte abliefern, gleichzeitig pedantisch mit Requisiten jonglieren! Das Publikum durfte da nicht schon gleich ermüden, sondern musste mit wachem Interesse den Rest des Abends verfolgen wollen, sollte sich amüsieren wollen, es war ja eine Komödie.
Ich habe gebüffelt und geübt. Immer wieder den Text studiert, die Sätze gebimst. Die Worte sollten wie eben erst von mir erfunden aus meinem Mund perlen, nebenbei wollte ich virtuos und millimetergenau den Frühstückstisch decken, als wäre es mein täglich Brot. Er hatte es komponiert wie ein Singspiel, ein Musikstück, etwas davon wegzulassen, hätte den Rhythmus verdorben.
Diese Arbeit ist mir unvergesslich. Danke Thomas Bernhard. Sie fehlen."
Traute Hoess, Schauspielerin
„Ich kannte das Stück ‚Die Jagdgesellschaft‘ vorher nicht, war nach dem ersten Lesen aber hellauf begeistert und dachte mir sofort, dass das Material für tolle Schauspielerinnen und Schauspieler ist. Außerdem ist es ein Stück, das sich in seiner typisch Bernhard‘schen Bösartigkeit auch auf die heutige Zeit beziehen lässt. Umso schöner, dass ich von Lucia Bihler sofort die Antwort ‚Das wollte ich immer schon mal machen‘ bekommen habe.“
Alexander Kerlin, Dramaturg am Burgtheater
Scheitern und Scheitern lassen
„Ich weiß, das klingt vermessen, aber ab und an muss man auch mal vermessen sein: Thomas Bernhard hat das vollbracht, was kein anderer Autor bei mir vollbracht hat, kein Shakespeare, kein Tschechow, kein Kleist, kein Schiller, kein Goethe ... Thomas Bernhard hat mich scheitern lassen. Ich bin an ihm gescheitert. Wer dabei war, weiß wovon ich spreche. Und für dieses Scheitern, dieses Nicht-bewältigen-, Nicht-erklimmen-Können bin ich ihm auf ewig verbunden."
Michael Maertens, Ensemblemitglied des Burgtheaters
„Wenn ich ganz ehrlich bin, kannte ich das Stück (Anm.: ‚Die Jagdgesellschaft‘) vorher überhaupt nicht und habe beim ersten Lesen wahnsinnig viel nicht gleich verstanden, weil es sich mir durch die Lektüre alleine einfach nicht erschlossen hat. Ich musste es ziemlich oft lesen, um überhaupt in diese Welt hinein zu finden. Der Text hat mich zunächst einmal abgeschreckt, weshalb ich dann sehr froh darüber war, dass wir die Arbeit an dem Stück sehr atmosphärisch aufgebaut haben. Über die Ästhetik, die wir gemeinsam erarbeitet haben, haben sich dann viele Elemente des Stückes erschlossen. Unter anderem auch seine Bösartigkeit."
Markus Scheumann, Ensemblemitglied des Burgtheaters
Der Text als Musik
„Bernhards Sprache, die liebe ich. Sie ist wie Musik. Bernhards Stücke spielen, das ist als ob man ein Instrument spielen würde. Deshalb muss man Bernhard immer laut lesen, auswendig vortragen. Aus dem inneren Ohr kommt der Text als Musik dann nach außen. Das ist das Wesentliche.“
Martin Schwab, Ensemblemitglied des Burgtheaters (Zitat aus Dichtung ist Stille ist Sprache ist Musik)
„Als Zuschauerin habe ich sie gesehen, die legendären Uraufführungen seiner Stücke durch Claus Peymann: ‚Minetti‘, ‚Der Schein trügt‘, ‚Weltverbesserer‘, ‚Heldenplatz‘ sind nur einige davon. ‚Vor dem Ruhestand‘ (in Bochum, 1980) hat mich buchstäblich vom Theatersessel gehauen, nach der Vorstellung fiel ich vor Eleonore Zetzsche auf die Knie.
Als Leserin seines Romans ‚Auslöschung‘ war es mir danach vier Wochen nicht möglich, das Buch eines anderen Autors zu lesen. Und ich zerstritt mich mit dem Sohn unserer Nachbarn, weil er mit Bernhards Texten nichts anfangen konnte.
Als Regisseurin des ‚Theatermachers‘ (Theater Oberhausen, 1997) war es ein großes Vergnügen zu entdecken, mit welch minutiöser Kenntnis vom Theatermachen Bernhard uns Theatermacherinnen und Theatermachern den Spiegel vorhält.
Als Schauspielerin der Mutter in ‚Am Ziel‘ (Tübingen 2005, Inszenierung von Vera Sturm) erfahre ich begeistert, dass ich versuchen kann zu atmen wie er seine Zeilen gesetzt hat.
Und 2020 im Theater in der Josefstadt (‚Der deutsche Mittagstisch‘ von Claus Peymann) durfte ich feststellen, wie viele verborgene Schätze in Bernhards Sprache stecken. Und, wenn man Glück hat, so ein Schatz sich einem manchmal auch hervorblitzend zeigt. Dann muss man ihn nur noch ausgraben.
Was ein Glück, dass es Thomas Bernhard gegeben hat, was ein Glück, dass er für uns geschrieben hat."
Lore Stefanek, Schauspielerin und Regisseurin
Infos zu „Der deutsche Mittagstisch" im Theater in der Josefstadt
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