Am Ende landet doch alles in der Mülltonne
Samuel Becketts „Endspiel“ als Oper. Komponiert vom Meister der Miniaturen György Kurtág. Buntmacher Herbert Fritsch inszeniert. Wie das klingt und was wir auf der Bühne sehen werden – wir waren bei den ersten Proben im Arsenal mit dabei.
Es ist wie in der Schule. Die erste Probewoche ist ein Beschnuppern, Bespüren, Ausloten und Pflöcke-in-den-Boden-Rammen. Manche kennen sich aus dem Vorjahr, anderen Theatern. Andere sind das erste Mal da. Im ersten Stock des Objekts 19 im Wiener Arsenal sorgt ein 460 Quadratmeter großer Rollenboden für ähnliche Probebedingungen wie im Haus am Ring. Für den heutigen Probetag würde es vermutlich auch ein kleinerer Raum tun.
In der Ecke stehen zwei Plastikmülltonnen – noch sind sie leer. Bassbariton Philippe Sly, der Wien als Leporello bezauberte, sitzt in einem Rollstuhl. Neben ihm Bariton und Publikumsliebling Georg Nigl. An seiner Seite die Barockspezialistin Hilary Summers und neben ihr Tenor Charles Workman. Gute zehn Meter gegenüber am Dirigentenpult Simone Young – seit 2022 Chefdirigentin in Sydney – und an ihrer Seite der große Buntmacher des Theaters, Herbert Fritsch.
„Ich meine, diese Runde ist ein Geschenk. Besser geht es nicht“, wird Georg Nigl ein wenig später im Gespräch sagen. Der Grund der Zusammenkunft: In wenigen Tagen – am 16.Oktober – feiert György Kurtágs erste und (vermutlich) einzige Oper Österreich-Premiere: „Fin de partie“. Es ist die Vertonung von Samuel Becketts „Endspiel“ – also streng genommen nicht ganz, weil ein paar Szenen fehlen. Der Inhalt: Vier Personen sind in einen leeren Raum gesperrt. Hamm ist blind und im Rollstuhl. Sein Diener Clov kann nicht mehr sitzen, kümmert sich aber um alle. Hamms Eltern Nagg und Nell haben keine Beine und leben in einer Mülltonne. Alle warten auf das Ende.
Adornos treffsicherer Kommentar über das Stück: „‚Endspiel‘ verstehen kann nichts anderes heißen, als seine Unverständlichkeit verstehen, konkret den Sinnzusammenhang dessen nachkonstruieren, dass es keinen hat.“
Acht Jahre komponiert
„Endspiel“ muss also nicht interpretiert, verstanden werden, sondern nur angeschaut. Ein Theaterstück, in dem nichts passiert, das nirgendwo hinführt, in dem die Figuren so bedeutungsschwangere wie sinnentleerte Satzfragmente in den Raum werfen. Ein Stück, das zuletzt in der menschlichen Existenz nur ein Warten auf den Tod sieht.
Das also trifft auf die Musik György Kurtágs, über den György Ligeti sagte: „Er ist der bedeutendste Komponist Ungarns.“ Kurtág ist ein Meister der Miniaturen, wie seine „Acht Klavierstücke op.3“ oder die „Kafka-Fragmente“ zeigen. Seine Stücke bestehen oft nur aus wenigen Tönen. Sätze dauern nur wenige Minuten.
Er wurde für seine Kammer- musik und Vokalzyklen gefeiert – aber erst 2018, im Alter von 92, feierte seine erste Oper Premiere: „Die Oper war eine Bestellung von Alexander Pereira, dem damaligen Intendanten am Opernhaus Zürich. Die Komposition dauerte sehr lange, fast acht Jahre. Ich musste mich zuerst in die französische Bühnensprache einarbeiten. Die ersten zwei Jahre habe ich mich nur mit dem Text beschäftigt und noch gar nichts komponiert – Texte helfen mir bei der Komposition.“
Monteverdi lässt grüßen
Kurtág selbst soll und will zu den Proben und zur Premiere kommen. Zu einem Stück, über das er sagt: „Ich habe in der Oper Fehler entdeckt, außerdem sind einige musikalische Gedanken nicht ausgearbeitet.“ Davon ist bei den Proben nichts zu merken. Gut, wir sind Laien, für uns klingt alles ziemlich fertig. Immer wieder lässt Simone Young die Sänger einzelne Passagen wiederholen.
Die Musik kommt vom Flügel. Sie erinnert an Monteverdi in ihrem Tonfluss, dazu ein bisserl versteckt an Debussy.
Herbert und Samuel
Herbert Fritsch sitzt daneben. Er, der Samuel Beckett kennt wie kaum ein anderer. Als Schauspieler. Als Regisseur. Sie sind so etwas wie Brüder im Humor. Nur einmal unterbricht er, als Charles Workman einen spitzen Ton singt: „Mach es wie ein Clown. Mach eine Grimasse und bleib am Ende kurz mit ihr stehen.“ Eigentlich spannend, der Mann der schnellen Inszenierungen trifft auf ein Stück der absoluten Bewegungslosigkeit.
Wie geht das zusammen?
Herbert Fritsch amüsiert die Frage sichtlich. „Bewegung ist immer. Der Trick ist, so stehen zu bleiben, dass die Menschen merken, dass es weitergeht. Es ist ein bewegungsloses Stück. Aber Beckett ist sehr raffiniert. Er lässt den Clov bewegen. Er lässt ihn rumfahren, und dann ist da die Bewegung in den Gesichtern. Wenn man es natürlich todernst spielt, dann ist da überhaupt keine Bewegung. Das ist das Missverständnis bei Beckett, dass dort alles wahnsinnig tragisch und furchtbar ist. Nein! Es ist viel einfacher, wie die Leute darauf reagieren, was sie machen. Wenn sie von der Geste und der Grimasse her etwas fokussieren.“
Die dümmste aller Fragen
Warum also die Trostlosigkeit in vielen Beckett-Inszenierungen?
„Es ist recht einfach. Die deutsche Übersetzung ist katastrophal – gerade beim ‚Endspiel‘ wird der Text förmlich kastriert. Die ganzen obszönen Untertöne, die drinnen sind, die Doppeldeutigkeiten – das fällt alles weg. Diese angestrengte Intellektualität des deutschen Theaters ist ja nur ein einziges großes Missverständnis.“
Das Gespräch nimmt Fahrt auf, und dann machen wir einen Kapitalfehler und stellen Fritsch, dessen Regiearbeit zwar geplant ist, aber erst bei den Proben richtig entsteht, die dümmste aller Fragen: „Was darf das Publikum erwarten?“
Herbert Fritschs Lächeln wird breit: „Ach“, sagt er, „ich weiß ja selber nicht, was mich erwartet. Natürlich kenne ich das Stück. Natürlich schaue ich es mir vorher an. Aber erst bei den Proben beginnt es bei mir zu brodeln. Es gibt dann noch so viele Komponenten, die dazukommen und die ich nicht verraten will, wo man sagt: Mal sehen, ob das funktioniert. Aber es ist ein Stück mit vier Clowns. Jedoch nicht diese rumtobenden Rumstibumsti-Clowns.“
Momentaufnahmen der ersten Proben.
Kammerspiel & Bühnenbild
27 Meter breit und 25 Meter tief ist die Bühne der Wiener Staatsoper. Warum das für das Stück wichtig ist? Herbert Fritsch: „Das Problem ist ja auch, dass es ein Kammerspiel ist und wir das Ding auf die riesige Bühne bringen – da muss man mit dem Raum so operieren, dass man trotzdem das Gefühl von Intimität hat.“
Das Bühnenbild von Fritsch verjüngt sich nach hinten und geht wie ein Megafon nach vorne hinaus. Es ist wie eine Filmprojektion eines kleinen Raums. Beckett hat genaue Anweisungen gegeben,wie das Stück zu spielen ist.Hindert das einen Freigeist wie Fritsch am Arbeiten? Er schüttelt den Kopf: „Was Beckett schreibt, ist hervorragend, da halte ich mich gerne dran. Es gibt ein paar Punkte, wo ich anders denke. Ich fühle mich von Beckett in keinster Weise gegängelt.“
Kurtágs Musik grimassiert, und das möchte ich unterstützen.
Herbert Fritsch, Regisseur
Mülltonnen & Musik
Nicht unwesentlich die Sache mit den Mülltonnen.In manchen Inszenierungen stehen sie auf der Bühne, manchmal sind sie halb im Boden versenkt. Was Fritsch machen wird? Sagt er uns nicht. Wer weiß, dass er gerne mit Löchern im Bo- den arbeitet, könnte darauf wetten. „Ich weiß es noch nicht. Das ist mir noch nie passiert. Aber es wird.“ Sagt es und grinst.
Fritsch kennt nicht nur György Kurtágs Musik, sondern auch den Komponisten selbst. „Seine Musik grimassiert, und das möchte ich unterstützen. Die Musik ist schwer, aber sie ist pointiert. Sie trifft etwas. Das Groteske ist darin. Kurtágs Musik ist wie Zirkusmusik, sie ist eine Hilfe für das Expressive.“ Sagt’s und geht in die Pause. Wir danken.