Wo man(n und frau) sich in der Mitte trifft
Goethe und Euripides – beide haben den Iphigenie-Stoff verarbeitet und mit ihren Fassungen dem Mythos einen männlichen Stempel aufgedrückt. Doch was passiert, wenn die Tochter Agamemnons aus dem Rahmen des bisher bekannten Musterbilds fällt? Angelika Messner zeigt mit ihrer Inszenierung von „Iphigenie“ im TAG, wie das aussehen könnte.
Der Inhalt ist alles andere als unbekannt: Iphigenie lebt auf der Insel Tauris in Gefangenschaft und wird von Thoas gezwungen, zwei Männer zu töten, wodurch sich herausstellt, dass einer der beiden ihr Bruder ist. In ihrem Stück „Iphigenie“ bleibt Angelika Messner in Form und Sprache ganz nah an Goethes Text. „Ich folge dem klassischen Mythos – nur am Ende kommt es anders“, so die Regisseurin, die seit 1992 im Regiebereich tätig ist.
Die Handlung spielt, anders als im Original, im Rotlichtmilieu. Dort ist Iphigenie wegen ihrer Empathie für die anderen Sexarbeiterinnen als „Mutter Theresa der Nutten“ bekannt. Die Thematik des Menschenhandels hat Messner bewusst gewählt, um der Wucht des Mythos – Muttermord, Ehegattenmord, Vatermord – eine große Drastik entgegenzustellen. Trotzdem geht es ihr nicht um die realistische Schilderung des Milieus. „Natürlich haben wir am Anfang auch ein paar heftige Szenen, um das darzustellen, aber für mich war es mehr so, wie wenn man ein Bild malt oder eine Skizze macht, um zu zeigen, wo man sich befindet.“ Von dieser Skizze ausgehend setzt sich die Handlung fort.
Gelesen hat sie das Goethe-Stück im ersten Lockdown, in der Figur der Iphigenie fand sie Wiedererkennungspotenzial – als Frau, die in männlich dominierten Rollenbildern ins Straucheln kommt.
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Mehr als nur Opfer
Die Einbindung einer weiblichen Perspektive im Stück ist Messner also besonders wichtig. „Weil mir bei der Lektüre wieder aufgefallen ist, dass die Sicht so ganz gegen mein Frauenbild gegangen ist, und dem wollte ich etwas entgegensetzen.“ Dabei soll es im Stück nicht primär um Emanzipation gehen. „Ich versuche ganz stark die Positionen des Mannes und der Frau auszuloten und schaue gleichzeitig darauf, wie die Mechanismen sind, dass es im Endeffekt dann meistens doch nicht funktioniert.“
Die Figur der Iphigenie nimmt sich in der Inszenierung den Anspruch, ihren eigenen Weg zu gehen. „Und das ist vielleicht gar nicht so ein Ausbrechen aus einer Weiblichkeit oder aus einem weiblichen Bild, sondern ein sehr menschlicher Gedanke. Und der wird den Frauen, das sehe ich auch gesellschaftlich eigentlich, viel weniger zugebilligt als den Männern.“ Hier einen Diskurs zu pflegen, das ist für Messner der eigentliche Weg der Emanzipation. Einen Appell hat sie auch: „Dieser Weg kann ja schönerweise von beiden Geschlechtern beschritten werden. Das ist etwas, wo man die Männer und auch die Söhne in die Pflicht nehmen muss. Dort können wir nämlich ansetzen, glaube ich.“
Das Stück soll zum Nachdenken anregen und alle Geschlechter ermutigen, über die Rolle der Frau zu reflektieren und zu sprechen – Raum für Gespräche schaffen und Diskurse anstoßen.
Doch Iphigenie ist mehr als nur ihre Opferrolle, die Protagonistin bleibt im Stück eine sehr menschliche Figur. Sie zweifelt, wächst und reflektiert – auch über sich als mythologische Figur in ihrem (Frau-)Sein. Gearbeitet wird im Text mit verschiedenen Ebenen: Folgt das Stück der Handlung, wird Goethes Blankvers gesprochen, sobald reflektiert wird, wird zur Prosa gewechselt.
Ein geschützter Raum
Daneben gibt es auch noch musikalische Elemente, die in den Sprechtext eingebaut werden. Messner, die selbst Musik studiert hat und bereits oft mit Komponist*innen zusammengearbeitet hat, spricht dabei von „emotionalen Verdichtungen“: Musik und Sprache sollen in der Inszenierung einen gemeinsamen Rhythmus bilden. „Dann wird alles beim Schreiben tausend Mal laut gelesen und ausprobiert – geschaut, ob der Klang gut ist. Außerdem versuche ich mit Konsonanten und Vokalen zu arbeiten.“
Die Kooperation mit den Schauspielenden bleibt dabei eine sehr partnerschaftliche, das kollektive Arbeiten ist „das Beste, was sein kann“. Da steckt viel Leidenschaft drin, als Messner das sagt. Und das zu Recht.
Ich glaube, viele der Figuren in meinen Stücken sind Figuren, die einen Weg zurücklegen, um eine Erkenntnis zu haben.
Angelika Messner, Regisseurin
Eingestiegen in ein männlich-dominiertes Theater, kann sich Angelika Messner heute nicht vorstellen, die Bühne in autoritärer Form zu bespielen. Die Zeit mit dem Regisseur Michael Sturminger hat sie besonders geprägt, die Darsteller*innen uneingeschränkt arbeiten zu lassen und deren Input zu nutzen. Schlussendlich soll Theater ein geschützter Raum sein, wo sich alle angstfrei entwickeln können und Vertrauen von Anfang an gegeben ist. „So gesehen war es für mich eine sehr natürliche Entwicklung und ich sehe den Theaterbetrieb auch so – als Entwicklung“, sagt Messner und beantwortet damit gleichzeitig die Frage, ob sie eine Veränderung im Theaterbetrieb bemerkt.
„Gott sei Dank sind diese Me-Too-Debatten hochgekommen. Da wurde vieles in Frage gestellt. Ich glaube auch, dass es ganz dringend notwendig ist, dass das alles einmal verhandelt wird.“
Wege zur Erkenntnis
Worauf wir wieder zum Stück zurückkommen: „Ich hoffe, dass es sich irgendwann auf eine Gleichwertigkeit und ein respektvolles Miteinander einpendelt. Das ist übrigens genau die Botschaft, die ich gerne transportiert hätte in meinem Stück. Das wäre das Schönste, darum ringen die Figuren auch – um Gleichwertigkeit und um gegenseitigen Respekt.“
Was ihre Figuren allgemein gemeinsam haben? Messner überlegt kurz. „Ich glaube, viele der Figuren in meinen Stücken sind Figuren, die einen Weg zurücklegen, um eine Erkenntnis zu haben“, sagt sie dann. Und diese Erkenntnis wäre auch Angelika Messners Wunsch ans Publikum. „Das wäre das, was mir am wichtigsten wäre – dass der Diskurs beim Publikum ankommt und Nachdenkprozesse anregt.“ „Iphigenie“ als Stein des Anstoßes also.