Tom Stoppard: Gespräch mit einem Genie
Tom Stoppard ist eine lebende Legende. Der Dramatiker von Weltstarformat und Oscarpreisträger hat mit „Leopoldstadt“ einer jüdischen Familie in Wien ein Denkmal gesetzt. Im April feiert die deutschsprachige Erstaufführung im Theater in der Josefstadt Premie.
„Please call me Tom.“ Obwohl bereits 1997 von der Queen für seine literarischen Verdienste geadelt, legt Tom Stoppard keinen Wert auf den Zusatz „Sir“ und macht dies gleich zu Beginn des Interviews klar. Nach mehrfachen Verschiebungen wegen einer hartnäckigen Erkältung seinerseits gibt er – kein Klischee – bei einer Tasse Tee mit Milch fernmündlich Auskunft. Sehr herzlich. Und mit jenem trockenen Humor gesegnet, den man gemeinhin als britisch bezeichnet.
Anlass des Gesprächs ist sein aktuelles Stück „Leopoldstadt“, das 2020 am Londoner Wyndham’s Theatre uraufgeführt wurde und nun, in der Fassung von Daniel Kehlmann, im Theater in der Josefstadt seine deutschsprachige Erstaufführung erlebt. Man kann dieses Drama, das eine jüdische Wiener Familie aus dem titelgebenden zweiten Bezirk von 1899 bis 1955 begleitet, als Stoppards am stärksten autobiografisch beeinflusste Arbeit sehen. Denn wie die Figur des jungen Leo, der knapp vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als kleines Kind mit seiner Mutter nach England geht und erst am Ende des Stücks, inzwischen ein junger Mann, seine jüdischen Wurzeln entdeckt, war auch der Autor lange seiner Vergangenheit nicht gewahr. Er, das Kind jüdischer Tschechen, wuchs als „englisches Kind“ auf und erfuhr erst in den 1990er-Jahren, das sowohl die Geschwister seiner Mutter als auch seine vier Großeltern in den Konzentrationslagern der Nazis gestorben waren.
„Ich schrieb eigentlich dieser letzten Szene, in der Leo erfährt, dass ein großer Teil seiner Familie ausgelöscht wurde, entgegen. Aber ich wollte nicht, dass man das Stück als strikt autobiografisch versteht“, erzählt er, „das hätte mich auch zu sehr eingeschränkt, also habe ich beschlossen, nicht über eine tschechische, sondern über eine Wiener Familie zu schreiben.“ Dadurch, dass die Familie fiktiv sei, habe er sie nach seinen Vorstellungen gestalten können. „Die Charaktere gehören dir, allerdings musst du historisch genau arbeiten.“ Jene Szenen, die das Jahr 1938 behandeln, sind ebenso schwer auszuhalten wie jene von 1955, als die Namen der ermordeten Familienmitglieder verlesen werden.
„Das hat auch mich traurig gemacht. Aber man kann nicht schreiben, wenn man seinen Emotionen die Leitung überlässt“, so Tom Stoppard.
Dass die deutschsprachige Erstaufführung im Theater in der Josefstadt stattfinden wird, freut ihn. Dafür setzte sich Direktor Herbert Föttinger intensiv ein, und auch Daniel Kehlmann, mit Tom Stoppard befreundet, ließ seine Kontakte spielen. In der Vergangenheit brachte die Josefstadt mit „Arkadien“ (1994) und „Das einzig Wahre“ (2003) bereits zwei Werke des weltweit gefeierten Autors auf die Bühne. „Leopoldstadt“ ist auch insofern ein ambitioniertes Vorhaben, als die Besetzungsliste lang ist. „Vielleicht ist das in Österreich anders, aber niemand, der ganz bei Trost ist, schreibt in England ein Stück mit 24 Charakteren – die Kinder nicht eingerechnet. Wir hatten eine ganze Privatschule backstage“, man kann die entsetzten Produzenten förmlich vor sich sehen – „zumindest habe ich keinen Hund hineingeschrieben.“
Deutsch: Nicht genügend
Spricht er, der so viel über die Geschichte Österreichs weiß und der sowohl Johann Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ als auch „Liebelei“ und „Das weite Land“ von Arthur Schnitzler in englischen Versionen herausbrachte, eigentlich auch Deutsch?
„Zu meiner großen Schande – nein“, seufzt er. „Deutsch ist die Sprache, bei der ich am meisten bedauere, sie nicht in der Schule gelernt zu haben.
Und heute ist es, fürchte ich, zu spät dafür. Als ich die Trilogie „The Coast of Utopia“ über Michail Bakunin, der stark von der deutschen Philosophie beeinflusst war, geschrieben habe, las auch ich ausführlich deutsche Philosophen. Aber immer nur auf Englisch. Ich empfinde es auch als schreckliches Manko, Rilke nie auf Deutsch gelesen zu haben.“ Er liebe auch Stefan Zweig, Joseph Roth und Robert Musil. „Mein neues Stück in Wien zu zeigen ist also so etwas wie der angemessene Höhepunkt meiner ‚deutschen Karriere‘.“
Rauchen und schreiben
Tom Stoppard schrieb „Leopoldstadt“ nach einer fünf Jahre dauernden Schaffenspause. Woran arbeitet der Dramatiker und Drehbuchautor aktuell?
„Die Wahrheit ist, an gar nichts. Ich würde gern ein neues Stück schreiben, habe aber keine Idee. Eigentlich habe ich meine Themen immer lesend gefunden. Ich lese viel Historisches und Philosophisches – aus reiner Freude, nicht zur Recherche. Aber ein Teil meines Gehirns denkt immer auch ein mögliches neues Stück mit. Vor zwei Jahren dachte ich, vielleicht ist es okay, mit einem großen Stück aufzuhören; ich habe mich richtig befreit gefühlt. Jetzt fühlt sich diese Freiheit aber wie ein Gefängnis an. Ich muss wieder schreiben, um aus diesem Gefängnis herauszukommen. Autoren sind – wie Komponisten und Maler auch – doch glückliche Menschen.
Es gibt für sie keinen Grund aufzuhören, außer sie verlieren ihre Inspiration. Und ich bete, dass ich meine nicht verloren habe.“ In einem Interview meinte Tom Stoppard einmal, dass er rauchen müsse, um schreiben zu können. Hat er etwa damit aufgehört? „Ich rauche nur, wenn ich wach bin“, scherzt er. „Als ich damit begonnen habe, war es noch gesund.“ Leises Glucksen am anderen Ende der Leitung. „Meine zweite Frau war Ärztin und hat einen Ratgeber, wie man mit dem Rauchen aufhört, verfasst, der 200.000 Mal verkauft wurde. Nur bei mir hat er nichts bewirkt.“ Aber im Grunde genommen wolle er gar nicht darüber reden. „Denn wenn Kritiker über meine Arbeit schreiben, bezeichnen sie mich meist als intelligent. Und da muss man sich schon fragen: Wie intelligent ist es, zu rauchen?