Ein frischer Wind: Anna Horn über den Dschungel Wien
Im Dschungel Wien, dem Theaterhaus für junges Publikum im Zentrum der Stadt, weht ein neuer Wind. Anna Horn hat seit dieser Spielzeit die künstlerische Leitung inne. Sie möchte an bereits Bestehendes anknüpfen wie auch einiges neu aufwirbeln. Wir haben mit ihr gesprochen.
Im Dschungel, dem im Wiener Museumsquartier beheimateten Theaterhaus für junges Publikum, weht ein neuer Wind. Einer, der aus der Vergangenheit hereinweht und dabei bewährte Konzepte und neue Strömungen zu einem großen Luftstrom vermengt. Im Auge dieses Wirbelsturms: Anna Horn, die neue künstlerische Leiterin des Dschungel Wien. „Mir ist es wichtig, auf jenen Dingen aufzubauen, die hier bereits geschaffen wurden“, findet sie klare Worte. „Es gibt Menschen in unserem Team, die schon seit langer Zeit hier arbeiten und deren Erfahrungen in die Programmierung eingeflossen sind, es sind aber auch neue Leute dazugekommen, wie etwa die Dramaturgin und Theatervermittlerin Elif Bilici, die sich im Rahmen der Werkstätte ‚Auf der Suche‘ gemeinsam mit Jugendlichen auf die Suche nach Vielfalt in der Stadt machen wird. Oder Thomas Perle und Armela Madreiter, die weiße Flecken der Stadtgeschichte beleuchten und über Gastarbeiterschaft in Wien schreiben werden.“
Digitalität und Nachhaltigkeit
Auch eine Digitale Bühne wird es ab dieser Spielzeit geben. Gemeinsam mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen verknüpft die Künstlerin, Performerin, Tänzerin, Rapperin und Kultur- und Sozialanthropologin Myassa Kraitt digitale und physische Räume miteinander. Jährlich wird eine Produktion offline aufgeführt und damit die Brücke ins Theater geschlagen. „Sie wird dabei von den beiden PoC-Künstler*innen Emily Chychy Joost und Mercy Mercedes unterstützt. Am 30. September wird ein von ihnen organisierter Voting Ball stattfinden, der Poetry Slam und Voguing miteinander verbindet und außerdem die Frage aufwirft, wem die Bühne gehört – wer repräsentiert wird und werden soll. Diese Fragen werden uns über den Ball hinaus, durch die ganze Spielzeit, begleiten“, fasst Anna Horn zusammen.
Genauso wie das Thema Nachhaltigkeit. „Der Nachhaltigkeitsgedanke beschäftigt uns auf mehreren Ebenen“, so die frischgebackene Intendantin. „Einerseits geht es darum, mit welchen Materialien man Theater produziert, welche Ressourcen man nutzt. Andererseits finde ich es spannend, Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit in positiven Geschichten auf der Bühne sichtbar zu machen.“
„Das tapfere Schneiderlein“
Neben vielen Koproduktionen und Gastspielen stehen bis Ende des Jahres auch drei Eigenproduktionen auf dem Programm, erläutert die Intendantin. Nils Strunk und Lukas Schrenk, deren „Zauberflöte“ im Burgtheater gerade wahre Begeisterungsstürme auslöst, entwickeln ein Stück mit dem Namen „Die komische Tür“, eine musikalische Abenteuerreise für alle ab 3. Anna Horn hat sich außerdem dazu entschieden, die Tradition, ein Weihnachtsstück zu zeigen, aufrecht zu erhalten und „Das tapfere Schneiderlein“ auf den Spielplan gesetzt. Inszeniert wird das Stück von Mira Stadler, die Anna Horn aus ihrer Zeit am Münchner Residenztheater wie auch von ihrer Arbeit am Burgtheater kennt. Der Autor, Schauspieler und Psychotherapeut Raoul Biltgen hat die Fassung geschrieben. „Es ist eine Überschreibung, die mit den für Märchen typischen Stereotypen bricht“, bringt es Anna Horn auf den Punkt. Die dritte Eigenproduktion findet im Rahmen des PULS Festivals statt – „Kingx & Qweens“, eine inklusive Tanzproduktion von Corinne Eckenstein und Joseph Tebandeke.
Berührungspunkte schaffen
Wie es gelingen könnte, mit dem Programm möglichst alle jungen Bewohner*innen Wiens anzusprechen? „Ich finde es immer ganz schwierig, ‚alle‘ zu sagen, weil das suggeriert, dass man das tatsächlich möglich macht. Trotzdem glaube ich fest daran, dass wir ein großes Angebot schaffen können. Und wir werden auch daran arbeiten, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Die Menschen in unserem Team können sehr viel dazu beitragen, weil sie ihre eigenen Geschichten mitbringen und dadurch Leute erreichen, die an diese Dinge anknüpfen können oder sich dadurch repräsentiert und gesehen fühlen“, fasst Anna Horn zusammen.
Niederschwelligkeit sei ein wichtiger Faktor, fügt sie hinzu – „erste Berührungspunkte zu schaffen, die vielleicht zu regelmäßigen Theaterbesuchen führen, vielleicht aber auch nicht“. Als Theater sei es unglaublich wichtig, sich für die Dinge zu öffnen, die in der Stadt passieren, erläutert sie nach einer kurzen Pause – „und Theater für junges Publikum auch gemeinsam mit jungen Menschen zu programmieren“. Partizipation sei ohnehin eine der wichtigsten Säulen des Dschungel.
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Würstchen grillen mit Meese
Ihre ersten Theatererfahrungen machte Anna Horn an der Volksbühne bei Frank Castorf. Eine Zeit, die für ihr Theaterverständnis ungemein prägend war, resümiert sie lachend. „Es gab Konzerte, ich habe mit Jonathan Messe Würstchen im Foyer gegrillt und auf der Bühne standen teilweise Spieler*innen, die gar keine klassische Schauspielausbildung hatten, sondern einfach großartige Typen waren.“
Ich mag Vielfalt und ungewöhnliche Formen im Theater. Ich mag es auch, wenn ich in einer Vorstellung sitze und nicht alles verstehe. Das Tolle an Theater ist, dass nicht jedes Bild sofort von mir dechiffriert werden muss, sondern dass dahinter eine Welt liegt, die ich gar nicht kenne, die aber vielleicht neue Denkräume eröffnet.
Anna Horn
Nach einigen Arbeiten in der freien Szene begann sie, während der Intendanz von Karin Beier am Schauspiel Köln, Theater für junges Publikum zu machen und mit jungen Menschen zu arbeiten. „Das war eine schöne, sehr freie Zeit“, so Horn. „Der Druck war nicht so groß, wir liefen so ein bisschen unter dem Radar und konnten dadurch in künstlerischer Hinsicht sehr viel ausprobieren.“ Danach ging Anna Horn ans Münchner Residenztheater und baute gemeinsam mit Anja Sczilinski das „Junge Resi“ auf, die Kinder- und Jugendtheaterschiene des Münchner Theaters. Mit Sczilinski ging sie danach auch ans Burgtheater.
Was sie aus ihren ersten Theatererfahrungen in den Dschungel mitgenommen hat, möchten wir noch von Anna Horn wissen. „Ich mag Vielfalt und ungewöhnliche Formen im Theater. Ich mag es auch, wenn ich in einer Vorstellung sitze und nicht alles verstehe. Das Tolle an Theater ist, dass nicht jedes Bild sofort von mir dechiffriert werden muss, sondern dass dahinter eine Welt liegt, die ich gar nicht kenne, die aber vielleicht neue Denkräume eröffnet“, so die glasklare Antwort der Theatermacherin und Neo-Intendantin. Sie setzt nach: „Auch hier an diesem Haus hat man die große Freiheit, verschiedene Dinge ausprobieren zu können. Und damit die Art und Weise, wie junge Menschen die Welt sehen, mitzugestalten – und das schon ab dem Kindergartenalter.“
Ein neuer Wind
Über den Stellenwert von Kinder- und Jugendtheater innerhalb der Theaterlandschaft hat Anna Horn viel zu sagen. Es sei in jedem Fall ein strukturelles Problem, dass Theater für junges Publikum nicht die gleiche Wertschätzung erfährt – „dabei ist Theater für Kinder und Jugendliche genauso wichtig wie für Erwachsene“. Sie würde sich sehr wünschen, dass es ernster genommen wird, und meint damit einerseits Sichtbarkeit und Wertschätzung, andererseits auch Unterstützung in Form von Räumen und größeren Budgets. „Damit hängt natürlich auch die Frage zusammen, welchen Stellenwert junge Menschen in unserer Gesellschaft haben. Wobei ich glaube, dass sich durch die Pandemie etwas verändert hat, weil viele Kinder und Jugendliche, auf die während dieser Zeit zu wenig geachtet wurde, plötzlich laut geworden sind und dadurch ein größeres Bewusstsein für ihre Bedürfnisse geschaffen wurde“, hält sie daran anknüpfend fest.
Vielleicht weht auch in dieser Hinsicht bereits ein neuer Wind. Womit wir auch bei der Eröffnungsproduktion der aktuellen Spielzeit wären – die heißt nämlich „Wind“ und stammt vom großartigen Theaterkollektiv makemake produktionen. Premiere ist am 23. September.