Was für ein Theater! Opernliebhaber wissen: Es ist nicht immer leicht, im Singspiel den Überblick zu bewahren. So manche Dopaminüberdosis verleitete selbst erfahrene Librettisten schon zu haarsträubenden Handlungen, die das Publikum nur unter Einfluss von Champagner zu goutieren vermag.

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Im Falle von Sergej Prokofjews „Die Verlobung im Kloster“ trinkt auch das geistliche Personal, was den diensthabenden Mönchen angesichts der amourösen Verheerungen nicht zu verdenken ist. Im Sevilla des 18. Jahrhunderts ist Don Jerome willens, seine Tochter Luisa mit dem reichen alten Fischhändler Mendoza zu vermählen.

Luisa hat aber ein Auge auf den attraktiven mittellosen Don Antonio geworfen. Ihre Amme, die Duenna, hätte wiederum nichts dagegen, als verehelichte Donna Mendoza sozial aufzusteigen, und tauscht heimlich mit Luisa Kleider und Identität. Nun soll also sowohl die Hochzeit von Luisa und Antonio als auch jene von Don Mendoza mit der vermeintlichen Luisa – in Wahrheit die Duenna – im Kloster stattfinden.

Zur Steigerung der Komplexität taucht auch noch Luisas Bruder Don Ferdinand auf, dessen Geliebte Clara nach einem Streit beschlossen hat, ihr Seelenheil im Kloster zu suchen. Die ob einer Feier schwer alkoholisierten Mönche vollziehen schließlich alle drei Trauungen. Gratulation und Applaus.

„Ich habe diese Oper, ehrlich gesagt, selbst noch nie gesehen“, bekennt Damiano Michieletto gut gelaunt im Interview.„Die Tatsache, dass sie selten gespielt wird, birgt auch die Chance, etwas nicht Alltägliches auf die Bühne zu bringen. Zudem habe ich eine Schwäche für Komödien, von denen es in der Opernliteratur des 20. Jahrhunderts nur wenige gibt. Das – zusammen mit der musikalischen Sprache von Prokofjew – hat mich sehr interessiert.“

Warum es dieses bemerkenswerte Kleinod jahrzehntelang kaum auf einen Spielplan geschafft hat, kann sich auch der Meisterregisseur nicht erklären. „Was ich aber sagen kann, ist, dass ich alles daransetzen werde, diese Geschichte so klar wie möglich zu erzählen. Sie hat nämlich bei aller Kompliziertheit sehr starke Momente, Bilder und Charaktere. Mein Konzept beinhaltet, selbst in den verrücktesten Momenten der Handlung Leichtigkeit zu vermitteln.“

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Ich versuche stets, eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen. Und eine von der Bühne hinunter in den Zuschauerraum.

Damiano Michieletto, Regisseur

Brücken bauen

Er wolle sich ganz auf die einzelnen Charaktere und ihre jeweiligen Sänger konzentrieren. „Ästhetisch darf man sich das Setting wie eine Matrjoschka vorstellen, sodass es möglich sein wird, in Sekundenschnelle von einem kleinen in einen großen Raum zu wechseln, ohne den roten Faden zu verlieren. Das mitunter Surreale soll sich auch optisch wiederfinden, denn in manchen Momenten stelle ich mir vor, dass sich die Protagonisten dieser irrwitzigen Reise wie in einem Albtraum fühlen müssen.“

Für ihn erzähle Oper immer etwas über unser Leben. Es gehe darum, dem Publikum Erfahrungen zu vermitteln.

„Deshalb versuche ich auch stets, eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen. Und eine von der Bühne hinunter in den Zuschauerraum. Es ist nicht wichtig, jedes Mal moderne Kostüme zu verwenden oder die Geschichte in aktuelle Zusammenhänge zu stellen. ‚Die Verlobung im Kloster‘ folgt in der Inszenierung auch keinem Realismus. Aber, unabhängig vom Stil oder dem Etikett, den man dem Ganzen gibt, geht es eben um Erfahrung. Und je emotionaler und menschlicher diese ist, desto mehr kann das Publikum sie auch annehmen und genießen.“

Die ersten Ideen zu dieser Produktion stammten noch aus vorpandemischen Zeiten. Nach Corona mussten dann alle Zeitpläne neu ausgerichtet werden. „Jetzt bin ich froh, dass ‚Die Verlobung im Kloster‘ endlich stattfinden kann. Noch dazu im neu renovierten Haus.“

Zur Person: Damiano Michieletto

studierte Regie in Mailand und erlebte mit „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ 2003 beim Wexford Festival seinen Durchbruch. Er zählt zu den gefragtesten Opernregisseuren seiner Generation, inszeniert weltweit an bedeutenden Häusern, ist aber auch als Schauspielregisseur tätig. Am Theater an der Wien setzte er bisher „Il trittico“ (2012), „Idomeneo“ (2013) und „Otello“ (2016) in Szene.

Schwingungen aufnehmen

Damiano Michieletto kam in Venedig zur Welt und wuchs im opernverliebten Italien auf. „In meiner Familie spielte klassische Musik allerdings keine Rolle. Ich habe dieses Genre erst während des Studiums für mich entdeckt.“

Ein wenig half auch ein aufmerksamer Professor, dem auffiel, dass der angehende Regisseur bei fast allen seinen Projekten Musik zum Einsatz brachte. „Also meinte er: ‚Wie wäre es mit Oper?‘ Er ermunterte mich, mir Aufführungen anzusehen und mich in diese Welt zu vertiefen. Irgendwann habe ich erkannt, dass er recht hatte. Diese Art des künstlerischen Ausdrucks interessierte mich sehr.“

Am Anfang seiner Karriere stand trotzdem das Schauspiel, und auch heute noch inszeniert Damiano Michieletto ab und an Theaterstücke. „In den letzten Jahren aber immer weniger, weil die Oper doch sehr im Mittelpunkt meiner Tätigkeit steht.“

Nach welchen Kriterien wählt Michieletto seine Projekte aus?

„Das passiert meist instinktiv, irgendetwas daran muss mich in Schwingung versetzen. Entweder ein bestimmter Charakter oder eine interessante Wendung in der Geschichte, die bestimmte Emotionen bei mir auslöst. Wenn ich dann denke, dass ich diese Gefühle auch dem Publikum vermitteln könnte, sage ich zu.“

In seinen Augen benötigt ein Regisseur zunächst ein starkes Konzept. „Und er muss mit Sängerinnen und Sängern physisch arbeiten und zugleich eine menschliche Beziehung zu ihnen aufbauen können, die ihnen hilft, auf der Bühne gute Leistungen zu erbringen. Gesang und Schauspiel miteinander in Einklang zu bringen, ist eine weitere wichtige Aufgabe. Der Austausch und Umgang mit Menschen ist essenziell.“

Publikum ist ein heikles Wort, denn wenn man all diese Menschen unter einem Label vereinen will, läuft man Gefahr, Stereotype oder Vorurteile zu bedienen.

Damiano Michieletto, Regisseur

Freundschaften pflegen

Zu Damiano Michielettos engstem Team gehören der Bühnenbildner Paolo Fantin, der Lichtdesigner Alessandro Carletti und die Kostümbildnerin Carla Teti – Fantin und Carletti sind auch bei „Die Verlobung im Kloster“ in Wien mit von der kreativen Partie.

Was schätzt er an diesen künstlerischen Banden? „Wir sprechen dieselbe Sprache, respektieren einander und genießen den gemeinsamen Austausch. Aber wir wiederholen uns dabei nicht, sondern sind ständig auf der Suche nach neuen Ideen und Inspirationen. Der große Vorteil, wenn man lange Zeit mit denselben Menschen zusammenarbeitet, ist, dass sie sehr direkt und ehrlich zu einem sind. Und ich ermuntere sie auch zur Kritik und dazu, Vorschläge zu machen. Niemand soll sich blockiert fühlen, weil wir ja im Dialog gemeinsam etwas kreieren müssen. Paolo, Alessandro und Carla sind meine Freunde – und Freundschaft ist für mich ein großes Wort. Ich fühle mich sehr wohl, mit Freunden zu reisen, weil man in der Opernwelt schnell auch einsam und allein sein kann. Das Leben ist besser und amüsanter auf diese Weise.“

Bisher hat er drei Mal am Theater an der Wien inszeniert, kennt also das Haus und seine Besucher*innen bereits. Wie hat er das Wiener Publikum bis dato erlebt?

„Publikum ist ein heikles Wort, denn wenn man all diese Menschen unter einem Label vereinen will, läuft man Gefahr, Stereotype oder Vorurteile zu bedienen. Jeder Zuschauer hat andere Erwartungen. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich generell an diesem Theater immer eine sehr offene Atmosphäre erlebt habe. Auch das Publikum ist tolerant gegenüber differenzierten Perspektiven und ziemlich entspannt. In anderen Städten ist Oper oft etwas dramatisch Ernsthaftes, in Wien wollen die Leute auch lachen. Hier hat man als Regisseur das Gefühl, angstfrei auch ein Risiko eingehen zu können. Das schätze ich sehr.“

Unmittelbar nach der klösterlichen Verlobung geht es für Damiano Michieletto nach Mailand, wo er die Opern-Uraufführung von Umberto Ecos „Il nome della rosa“ auf die Bühne der Scala bringen wird.

Hier geht es zu den Spielterminen von Die Verlobung im Kloster im Musiktheater an der Wien!