Alexander Giesche: Zurück in die Zukunft
In „Die Angestellten“, seinem Volkstheater-Debüt, katapultiert Regie-Senkrechtstarter Alexander Giesche sein Publikum in eine sinnliche Parallelwelt, die das Theater am Arthur-Schnitzler-Platz in dieser Form noch nie erlebt hat. Wir haben ihn getroffen.
„Die Theaterzukunft gehört Alexander Giesche“, schrieb die „NZZ“ über die Arbeit des in München geborenen Regisseurs, der seit einigen Jahren mit seinen bildgewaltigen Theatergedichten für Furore sorgt. Die Zukunft der Literatur gehört Olga Ravn, sagen wir – und auch noch ein paar andere, die längst erkannt haben, dass hier eine literarische Stimme am Werk ist, von der man noch sehr viel hören wird. Umso passender, dass die beiden Senkrechtstarter*innen einander nun in einem Universum begegnen, das wie kein anderes für Gegenwärtigkeit steht, uns jedoch gleichzeitig in vergangene und zukünftige Welten zu katapultieren imstande ist – im Theater. Genauer gesagt im Volkstheater, wo Alexander Giesche Olga Ravns Debütroman „Die Angestellten“ auf die Bühne bringt.
Der 150 Seiten umfassende Roman, der in einzelne Zeug*innenaussagen gegliedert ist, erzählt vom Leben auf einem Raumschiff im 22. Jahrhundert, das ganz auf Effizienz und Produktivität getrimmt ist. Rätselhafte Objekte, die auf einem anderen Planeten gefunden und zur genaueren Untersuchung auf das Raumschiff gebracht wurden, versetzen die aus Humanoiden und Menschen bestehende Besatzung allerdings in Unruhe. Bislang unbekannte Sehnsüchte entstehen und bringen das System ordentlich ins Wanken.
Gemeinsames Erleben
Über die Raumsetzung, die er sich für den Stoff überlegt hat, möchte Alexander Giesche noch nicht zu viel verraten. „Ich kann aber bereits sagen, dass wir etwas vorhaben, was das Volkstheater in dieser Form noch nicht erlebt hat“, sagt er mit ruhiger Stimme, die trotz aller Ernsthaftigkeit immer wieder eine fast schon kindliche Vorfreude durchblitzen lässt. Er fügt hinzu: „Wer meine Arbeiten ein wenig kennt, weiß vielleicht, dass es sich dabei um sehr sinnliche Übersetzungen in den Raum handelt. Mein größtes Anliegen ist, dass die Menschen im Publikum gemeinsam etwas erleben.“
Daher rührt auch, dass seine Theaterarbeiten – wie die 2020 mit dem 3sat-Preis des Berliner Theatertreffens ausgezeichnete Inszenierung „Der Mensch erscheint im Holozän“ – als „Visual Poems“ bezeichnet werden. Wichtig ist dem Theatermacher auch, dass seine Bildwelten vollkommen voraussetzungslos funktionieren. So sagte Giesche einmal in einem Interview: „Das ist für mich ein großer Wunsch, dass man sich eigentlich nicht vorbereiten muss für meine Stücke, sondern einfach kommt und offen ist und was erleben möchte.“
Das kleine Theater in unserer Gasse
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Als er begann, sich mit Ravns Roman zu beschäftigen, sei in den Medien gerade viel von Quiet Quitting die Rede gewesen, erzählt Alexander Giesche.
„Dabei handelt es sich um das Phänomen, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht mehr mit 100-prozentigem Engagement am beruflichen Aufstieg arbeitet, sondern nur noch 80 Prozent gibt und damit zufrieden ist. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob es sich dabei immer um eine aktive Entscheidung handelt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr mich die Reaktionen vornehmlich älterer Generationen damals schockiert haben. Da gab es Aussagen, die lauteten: ‚Die verwöhnten Jungen wollen nicht mehr.‘“
Diese Generationenkonflikte finde er total interessant, hält er fest. Darüber hinaus hat er sich im Zuge der Auseinandersetzung mit Olga Ravns Roman mit Themen wie Effizienz, Produktivität und Entfremdung im Arbeitskontext beschäftigt. „In Wahrheit wussten wir schon vor der Pandemie, dass all diese neuen Technologien wie beispielsweise Zoom zu einer Steigerung dieser Entfremdung führen werden“, fügt Giesche hinzu.
Die letzten Kirchen
Auch das Theater sei von diesem Effizienz- und Produktivitätsdruck nicht frei, so der Theatermacher, dessen Inszenierungen mit ihren ganz eigenen Rhythmen vielleicht auch als sinnliche Gegenwelten zu dieser leistungsorientierten Welt gesehen werden könnten.
„Wir produzieren am laufenden Band, und ich würde mir manchmal ein bisschen mehr Ruhe, Zeit und Konzentration wünschen“, sagt er. Theater seien für ihn so etwas wie die letzten Kirchen, „in denen man sich als Gesellschaft trifft und Themen verhandelt“. Dass das Publikum alles verstehen und bis ins Detail durchdringen müsse, sei jedoch niemals Ziel seiner Arbeiten. Viel lieber stelle er Fragen, als Antworten zu liefern.
Bei einem Roman, der so viele Fragen aufwirft, der sich auch als Klassenroman lesen lässt und sich mit Themen wie Reproduktion und Mutterschaft beschäftigt, ist das Entwerfen eines Gedankenraums, durch den sich die Zuschauer*innen ihren Weg selbst bahnen müssen, wohl auch die beste und mit Sicherheit die sinnlichste Variante.
„Im besten Fall entsteht dadurch eine Form von Theater, die eine Generation ins Theater lockt, die mit Coldplay-Konzerten aufgewachsen ist“, sagt Alexander Giesche lachend.
Weil es seine erste Inszenierung an einem Wiener Stadttheater ist, hat er sich auch intensiv mit der Stadt auseinandergesetzt. Und passend zu den Themen des Romans Folgendes festgestellt: „Ich dachte, ich kann samstags bis mindestens 20 Uhr einkaufen gehen, aber da wurde in Wien bereits die Pausetaste gedrückt.“ Er lacht. „Ich finde das schön, weil es einer Gesellschaft guttut, gemeinsam Pausen zu machen.“