Ein Tag im Jänner. Einer, an dem die Sonne scheint – einen kausalen Zusammenhang zu unserem Termin mit Wiens Kulturstadträtin gibt es nicht, auch nicht zum vorgezogenen Wahltermin am 27. April. Und auch nicht zur Neuausschreibung des Chef*innenpostens des Theaters der Jugend. Warum wir hier sind?

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Weil in Wien Kultur funktioniert – das sagen Menschen von außen öfter als die Wiener*innen selber. Aber das Sudern ist Volkssport in Wien. Macht ja nix.

Über 90 Prozent der Touristen kommen wegen der Kultur nach Wien. Die großen Häuser spielen international in der Champions League des Theaters.

Aber wie macht Wien das? Und wie wird Wien das weiter machen? Daher das Treffen mit Veronica Kaup-Hasler und das folgende Interview:

Wie geht gute Kulturpolitik?

Es beginnt mit einer Leidenschaft für die Sache selbst – und zwar für alle Ausdrucksformen. Und es geht um Expertise. Gute Kulturpolitik ist immer expert*innenbasiert und arbeitet im und mit dem Kulturbereich. Bei uns kommen im Team hier im Büro fast alle und auch viele Mitarbeiter*innen der MA 7 aus dem Bereich und sind in einem permanenten Dialog mit der Kulturszene. Durch die profunde Analyse ergeben sich Handlungsbedarf, Notwendigkeiten und auch Zukunftsvisionen. Wir in der Politik sind da in der Verantwortung.

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Hilft es, dass Sie selbst aus dem Kulturzirkus kommen?

Absolut. Ich habe einen guten Rucksack. In meinen 25 Jahren in Theatern in Deutschland, bei den Salzburger Festspielen, den Wiener Festwochen und dem Steirischen Herbst lernt man die ganze Bandbreite der Kultur kennen und lernt, was lokal und auch international gebraucht wird.

Über allem steht: Du musst die Kunst und das Publikum lieben. Gute Kulturpolitik sollte immer alle Perspektiven auf die Kunst im Blick haben: das Publikum, Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen. Es ist ein ständiger Reparaturprozess, aber auch eine Stimme für die Öffentlichkeit, weil es Steuergelder sind, die hier verwendet werden – und die bestmögliche Ausnutzung dieser Gelder muss gewährleistet sein. Letztendlich will ich, dass sich alle Generationen in dieser Stadt angesprochen fühlen und dass die Kultur ein Sensorium für das Publikum hat.

Was ist für Sie Volkskultur?

Volkskultur ist ein Begriff, der sehr oft politisch missbraucht wurde und wird. Das Wienerlied etwa ist eine kulturelle Ausdrucksform, die in der Gesellschaft gelebt wurde und wird. Es gibt diese tradierten Formen, die teilweise am Verschwinden sind, und ich achte sehr darauf, dass die auch gepflegt und erhalten werden – sie sind ein wichtiger Schlüssel, um Gemeinschaft herzustellen.

Letztendlich geht es immer um einen Exzellenzbegriff in allen Bereichen.

Veronica Kaup-Hasler, Wiener Kulturstadträtin

Aber sind nicht auch Strauss, Mozart, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Kruder & Dorfmeister zum Beispiel Volkskultur?

Für mich schon. Ich kann mit dieser Einengung nur auf Trachten wenig anfangen. Also wer ist denn das Volk, um Gottes willen? Gerade hier in Wien haben Handwerker, die aus anderen Teilen des Habsburgerreichs gekommen sind, genauso ihre musikalischen Spuren hinterlassen. Willi Resetarits ist ein wunderbares Beispiel für Volkskultur; oder der Nino aus Wien. Diese ganze Entwicklung des neuen Wienerliedes kommt oder schließt an Traditionen an – ist aber auch Teil des Volkes und Teil einer Volkskultur. Ich würde mir wünschen, dass Mozart, Schubert, Mahler, Brahms bis hin zu Schönberg verstärkt durch einen popkulturellen Blick gelesen werden. Genauso wünsche ich mir, dass ein Klassikfan sich auch konstruktiv mit gegenwärtigen Strömungen der Kultur und elektronischer Musik zum Beispiel auseinandersetzt. Das ist ein hybrides Verständnis von Kultur.

Das Schöne ist, dass in der Zukunft nur das überlebt, was wirklich gut war. Darauf warten ist halt mühsam.

Letztendlich geht es immer um einen Exzellenzbegriff in allen Bereichen. Und diese Exzellenz kann ich überall finden. Das kann ein Kärntner Chor sein oder ein Kirchenchor in Wien, bis eben hin zum Elektroniklabel oder zu Theaterformen, die sich aus dem Volk entwickelt haben. Keine Komödie kommt letztendlich ohne Anleihen von der Commedia dell’arte aus: Du hast immer ein bestimmtes Personenrepertoire, das immer wieder auftaucht. Aber es würde helfen, den Begriff „Volk“ außen vor zu lassen – weil es immer ein Begriff ist, der schwer erklärungsbedürftig ist.

Wie sehr beeinflusst der Bund eigentlich die Wiener Kulturpolitik?

Na ja. Da müssen wir von verschiedenen Epochen sprechen. Mit Staatssekretärin Mayer gab es ein wunderbares dialogisches Verhältnis, wir haben in gemeinsamer Analyse erkannt, wo was fehlt – wo man Theatern helfen kann. Umgekehrt hat Wien mit der Fair-Pay-Initiative im ganzen Bundesgebiet ein Thema gesetzt. Ich bin gespannt, in welcher Form der Dialog zukünftig gehandhabt wird. Es gibt viele gemeinsame Themen und Verantwortlichkeiten, die wir haben, und Förderungen, die wir stemmen.

Veronica Kaup-Hasler
Veronica Kaup-Hasler in ihrem Büro im Wiener Rathaus

Foto: Andreas Jakwerth

Egal wie sehr ich recherchiere – ich find nix: Hat die FPÖ überhaupt einen Kulturzugang?

Das gilt es zu erforschen – alles, was in den vergangenen Jahren aus dem Bereich gekommen ist, hat mich sprachlos gemacht, wie wenig verstanden wird, welche Rolle Kunst und Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat, und wie wichtig es ist, Kultur zu fördern. Wir brauchen nur nach Ungarn oder in die Slowakei zu blicken, um zu sehen, welche Felder zuerst attackiert werden. Es sind die kleinsten, aber wirkmächtigsten Teile. Es werden Subventionen entzogen – damit tötet man Kulturszenen. Das kritische Umgehen mit der Zeit, mit unserer Realität, all das passiert auf dem Feld der Kultur – und dieses hat immer auch eine sinnliche und emotionale Dimension. Der nächste Bereich sind dann Wissenschaft und Medien. Ich sehe im Wahlprogramm der FPÖ nichts außer dem unzureichend verstandenen Begriff der Volkskultur.

Warum regen kleine Theater mit ein paar hundert Besucher*innen so auf ?

Das ist die große Frage. Was erzählt das, wenn eine Regierung sich dadurch bedroht fühlt? Da hat die SPÖ eine klare Haltung und einen klaren Zugang: Freiheit der Kunst – das ist ein absolut unantastbares Gut. Wir werden das schützen und dafür sorgen, dass in Wien Kultur immer möglich ist.

Was erzählt uns das, wenn sich eine Regierung durch Kultur bedroht fühlt?

Veronica Kaup-Hasler, Stadträtin

Was ist für Sie effiziente Kulturförderung?

Das ist für mich, wenn wir das kreative Potenzial dieses Landes, unserer Stadt bestmöglich zum Blühen bringen. Und dass wir auch unterscheiden: Was ist Ehrenamt – was ich sehr achte –, was ist Hobby, und wo brauchen Profis gute Arbeitsbedingungen? Effizienz heißt, den gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Bei den einen geht es darum, das große Publikum zu erreichen, in anderen Bereichen darum, auch Nischen zu ermöglichen, wie etwa im Rahmen der Kompositionsförderung für zeitgenössische Musik.

Wien hat eine exzellente Gegenwartskünstler*innen, die bei uns groß wurden und jetzt international reüssieren: in der Filmszene, in der Malerei, in der Musik. Wien hat ein sensationelles Erbe, das wir hegen und pflegen und auch in die nächste Generation weitertragen wollen. Wir exportieren etwas, das weit in die Welt hinausstrahlt, und das ist schön. Jüngstes Beispiel sind die aktuellen Einladungen zum international renommierten Berliner Theatertreffen. Das Volkstheater hat ja auch mit „humanistää!“ internationale Aufmerksamkeit bekommen.

Lassen Sie uns über das Volkstheater reden – wohin geht da die Reise mit Jan Philipp Gloger?

Gloger kann die ganz großen Gesten, er kann Menschen- und Personenführung – solche Menschen sind rar. Er und Kay Voges sehen die soziale Funktion des Theaters sehr ähnlich. Gloger kommt ja auch aus der Musik – ich bin freudig gespannt auf ihn und seine persönliche Note. Kay Voges hat unter schwierigsten Umständen begonnen, hat all die Anfeindungen ausgehalten und das Theater neu positioniert.

Nach dem Tod von Gerald Pichowetz: Was passiert mit dem Gloria Theater in Floridsdorf?

Na ja, wir schauen mit einem liebenden und einem sorgenden Auge auf etwas, das der Stadt nicht gehört – es ist eine Erbschaftsangelegenheit. Wir haben das Gloria Theater stark unterstützt. Es ist aber derzeit eine Sache der autonom agierenden GmbH. Die Stadt hat aber ein großes Interesse daran, den Standort zu erhalten, und wir werden helfen, das Theater in eine Zukunft zu führen.

Was erwarten Sie sich von Sara Ostertag, die das TAG übernehmen wird?

Sara Ostertag macht tolles Theater und hat mit ihrem Konzept überzeugt. Wir wollen, dass das TAG ein Ort wird, der die migrantische Community mitdenkt und auch als Theater wahrgenommen wird, das Inklusion auch auf allen Ebenen verhandelt. Ein schönes Beispiel für Notwendigkeit und Vision.

Danke für das Gespräch.