„Es ist ein Warnsignal für den Rest Europas“: Dávid Paška über die Entlassung von Matej Drlička
„Vielleicht wird dieses Interview der Grund dafür sein, dass ich bei der neuen staatsnahen Direktion auf die schwarze Liste gesetzt werde“, sagt Dávid Paška. Das hält den in Bratislava geborenen Regisseur und Autor jedoch nicht davon ab, offen über die Eingriffe der slowakischen Regierung in die Kunst- und Kulturlandschaft des Landes zu sprechen. Ganz im Gegenteil. Wir haben mit ihm telefoniert.
BÜHNE: Wie ging es dir, als du von der Entlassung von Matej Drlička erfahren hast?
Dávid Paška: Obwohl ich die Situation zunächst vor allem aus dem Ausland wahrgenommen habe, war ich schockiert, als ich durch einen Artikel in den sozialen Medien davon erfuhr. Wut und Verwirrung folgten, und auch nachdem ich versucht hatte, die Entscheidung des Kulturministeriums rational zu begreifen, konnte ich die Art und Weise und die widersprüchlichen Begründungen für die Entlassung von Matej Drlička nicht akzeptieren. In der Slowakei ist es üblich, dass neu gewählte Regierungen die Direktor*innen staatlicher Institutionen austauschen, aber eine ideologische Umbesetzung durchzuführen, um den Kulturbereich zu kontrollieren, ist inakzeptabel. Die Entlassung anderer Direktor*innen und Kommissionsmitglieder*innen, einschließlich der Entlassung der Direktorin der slowakischen Nationalgalerie, Alexandra Kusá, am Tag nach der Entlassung von Matej Drlička, hat mich in meiner Position bestärkt.
Könntest du kurz nachzeichnen, was sich zuvor abgespielt hat? Inwiefern hat sich die slowakische Regierung, insbesondere die SNS, schon davor ins kulturelle Leben der Slowakei eingemischt?
Leider war diese Situation, wie viele (bereits entlassene) Kulturschaffende sagen, vorhersehbar – natürlich nicht in dieser arroganten und aggressiven Form. Aber die Einmischung der jetzigen slowakischen Regierung und damit vor allem der Slowakischen Nationalpartei (SNS) in die Kultur und Kunst hat von Anfang an stattgefunden – seit der Partei das Kulturministerium zugesprochen wurde. Am auffälligsten war die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Rundfunks der Slowakei (RTVS), d.h. die Absetzung ihrer Direktor*innen und das gezielte Austauschen politisch unbequemer Mitarbeiter*innen. Dies war ein radikaler Eingriff in die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Die anschließende Entlassung der Direktor*innen der Slowakischen Nationalbibliothek und des Internationalen Kinderkunsthauses Bibiana war eine Warnung, dass die Vertreter*innen dieses Ministeriums und der SNS im Allgemeinen vor nichts zurückschrecken werden. Sie richten ethische und ideologische Kommissionen ein und sie erschweren und verunmöglichen die freie und professionelle Tätigkeit des Fonds zur Förderung der Künste, der unabhängige und regional etablierte Projekte unterstützt. Ihr Plan ist es – und das klingt wirklich anachronistisch totalitär – einen dramaturgischen Plan für die Entwicklung der slowakischen Kultur zu erstellen. Ihr Plan ist es außerdem, alle Institutionen, auf die sie Einfluss haben, zu dezimieren und zum Stagnieren zu bringen. Die Regierungskoalition und vor allem Premierminister Fico billigen und unterstützen das.
Welches Kultur- bzw. Theaterverständnis wünscht sich die Regierung und inwiefern widerspricht diese Vorstellung demokratischen Grundwerten?
Ihre Parolen und Visionen sind denen vieler rechter (und rechtsextremer) politischer Stimmen und Parteien in Europa auffallend ähnlich. Sie deklamieren eine Art Nostalgie nach einer Vergangenheit, die es nie gab – eine Rückkehr zum Nationalen, zum Schönen, zum Normalen. Dieses Argument der „Normalität“ taucht überall in Europa auf, aber seine wahre Bedeutung, auch in diesem spezifischen Kontext, ist im Grunde die Verdrängung der Vertreter*innen und Themen der nationalen, sexuellen und ethnischen Minderheiten aus dem kulturellen Diskurs. Es ist eine ideologische Hetze gegen die Themen der LGBTQIA+ Community, gegen die Reflexionsprozesse über grüne Politik im künstlerischen Raum und letztlich gegen jedes politische Engagement mit den Mitteln der Kunst in staatlich subventionierten Institutionen wie auch in der freien Szene. Sie wollen nationalen Kitsch und eine Rückbesinnung auf regionale Klassiker wie auch auf apolitische und pseudochristliche Volkslieder, die die Außenwelt verdrängen. Wenn es nach ihren Vorstellungen geht, soll auf diese Weise eine heteronormative, nationalistisch-christliche Mehrheit entstehen. Alles andere ist – in ihren Augen und in ihren bereits faschistisch konnotierten Worten – pervers und verkehrt. Die Tatsache, dass sie die Leiter*innen der Institutionen durch völlig inkompetente, gehorsame Bekannte, Freunde und Internetexperten ersetzen, geht natürlich Hand in Hand mit ihrer Ideologie.
Ich habe große Angst, dass das erst der Anfang ist und es nicht bei passiver Aggression bleibt.
Dávid Paška
Es ging immer wieder darum, dass Matej Drlička „zu politisch“ agiert hätte. Was steckt hinter dieser Argumentation?
Ich wurde ans Nationaltheater eingeladen, um eine Produktion für die kommende Spielzeit 24/25 zu entwickeln. Ich kenne Matej Drlička nicht persönlich und weiß auch nichts über seine politischen Ansichten. Meiner Meinung nach war er nicht politisch genug, was er, glaube ich, im Nachhinein auch selbst zugegeben hat. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie die Arbeit eines Generaldirektors „zu politisch“ oder genauer gesagt „politisch agitatorisch“ sein kann. Meiner Meinung nach hat er das Nationaltheater stärker ins Bewusstsein der internationalen Kulturgemeinschaft gerückt und interessante integrative Projekte für Randgruppen und Minderheiten mitgestaltet. Wichtige Pfeiler dieses Programms waren unter anderem Aktivitäten für Kinder und Jugendliche, die ihnen die Möglichkeit gaben, das Theater kennenzulernen, ohne Angst davor zu haben, und es nicht als etwas Snobistisches oder Einschüchterndes zu betrachten. An wichtigen Gedenktagen, die an das Leiden der verschiedenen Minderheiten in der Slowakei erinnerten, wehten am Theater, neben der slowakischen und der europäischen Fahne, auch die Fahnen der gesellschaftlichen Minderheiten. Wenn eine solche Arbeit für die Öffentlichkeit als „zu politisch“ abgestempelt wird, dann befürchte ich, dass all diese Bemühungen um integrative soziale Aktivitäten schon bald nicht mehr Teil des Programms des Nationaltheaters sein werden. Wenn es stimmt, dass das Theater unter seiner Leitung endlich begonnen hat, die Themen LGBTQIA+ und Rassismus offen anzusprechen, dann ist das wiederum kein Argument, das für seine Entlassung herangezogen werden kann. Denn soweit ich weiß, sind das Schauspiel und die Dramaturgie der Schauspielsparte (wie auch die anderen Sparten des Theaters) nicht von den politischen Ansichten des Generaldirektors abhängig – zumindest war das bisher so. Die natürliche Entwicklung der Themenvielfalt des Theaters kann ihm also nicht angelastet werden.
Was könnte diese Entlassung – wie auch die davor gesetzten Schritte bzw. Entlassungen – für den Rest Europas bedeuten?
Auf der einen Seite bedeutet das, dass der Rest Europas und die internationale Kulturlandschaft das tun sollten, was sie bereits begonnen haben: Offen über die Situation in der Slowakei zu sprechen, sie in den Medien bekannt zu machen und der slowakischen Kulturgemeinschaft und ihren Vertreter*innen Unterstützung auszudrücken. Für diese Unterstützung bin ich (und viele andere) sehr dankbar. Es bewegt mich sehr, was im Moment passiert. Ich befürchte jedoch, dass diese und andere Entlassungen erst der Anfang sind. Es findet ein gesamtgesellschaftlicher Kampf für die Freiheit der Kunst statt. Viele Amtsträger*innen, aber vor allem Künstler*innen, werden erpresst, in finanzielle Not gedrängt und sogar aus der professionellen Theaterlandschaft verdrängt, wenn sie nicht mit der Ideologie der slowakischen Nationalpartei und des Kulturministeriums kooperieren oder einfach nur eine „andere“ kritische Meinung vertreten. Bitte behaltet diese Ereignisse im Auge, viele dieser Künstler*innen werden irgendwann in irgendeiner Form Unterstützung oder sogar Zuflucht brauchen.
Auf der anderen Seite ist es auch ein großes Warnsignal für den Rest Europas: Die Slowakei fällt in das Orbán-Modell der Kulturpolitik. Ich habe diese Tendenzen zur Einschränkung der Kunst- und Meinungsfreiheit bereits in den Programmen der Rechtsparteien in den deutschsprachigen Ländern beobachten können. Das Erstarken der FPÖ in Österreich und der AfD in Deutschland bedeutet, dass es in naher Zukunft auch in der deutschsprachigen Theaterwelt zu einer ähnlichen Situation kommen könnte. Es scheint unwahrscheinlich und es wirkt auch nicht so auch, als würde das so schnell passieren. Doch das dachten wir in der Slowakei auch. Aber diese Parteien sind weder originell noch kreativ. Sie kopieren sich gegenseitig und lernen von Vorbildern wie der heutigen Slowakei. Die künstlerische Gemeinschaft und die Institutionen müssen so schnell wie möglich eingreifen, sie müssen vorbereitet sein und im Voraus klare Positionen beziehen. In der Slowakei hat die SNS bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr nur 5,62 Prozent der Stimmen erhalten, aber sie nutzt ihre Macht auf allen Ebenen und dezimiert alles, was bisher geschaffen wurde.
Außerdem greift die Dämonisierung der Vertreter*innen der künstlerischen Gemeinschaft und die Hetze gegen sie durch das Kulturministerium, namentlich durch Ministerin Šimkovičová und ihren Generalsekretär Machala, bereits in das Privatleben von Künstler*innen und Beamten ein und bedroht es. Ministerin Šimkovičová greift in ihren Äußerungen via Telegram, die an ihre (oft rechtsextremen) Anhänger*innen gerichtet sind, namentlich Künstler*innen an, im jüngsten Fall auch Schauspielende und vor allem weiblich gelesene Ensemblemitglieder des slowakischen Nationaltheaters. Dabei werden sie in physische Gefahr gebracht. Das ist nicht mehr nur ideologische Einschüchterung, das ist direkte Aggression. Selbst auf den Straßen von Bratislava ist das schon zu spüren. Vor ein paar Tagen habe ich dort in einem Café mit einem Dramaturgen über eines meiner Theaterprojekte gesprochen. An den Nebentischen saßen immer wieder Gruppen von Männern, die uns anstarrten, den Kopf schüttelten, hasserfüllte Bemerkungen über Kunst und Künstler*innen machten und uns im Vorbeigehen immer wieder schubsten. Und das nur, weil wir als Theaterleute über Theater sprachen. Ich habe große Angst, dass das erst der Anfang ist und es nicht bei passiver Aggression bleibt.
„Wenn dieses Projekt, durch direkte Eingriffe in die Souveränität, Freiheit und Dramaturgie des Theaters, zensiert, verhindert oder gar unmöglich gemacht wird, dann muss ich die Integrität meiner künstlerischen Arbeit und meiner politischen Überzeugungen verteidigen.“
Dávid Paška
„TATARKA“, deine Inszenierung, die am 2. November im Slowakischen Nationaltheater zur Uraufführung kommen sollte, beschäftigt sich im Grunde mit genau jenen Themen, über die wir gerade sprechen. Hat es sich überrascht, wie schnell sich das Stück von einer „Warnung“ zu einer tatsächlichen Kritik am politischen Handeln der slowakischen Regierung entwickelt hat?
Ich war ehrlich gesagt enttäuscht. Ich hatte einen politischen Dialog auf einem viel höheren Niveau erwartet. Das Projekt „TATARKA“ basiert auf dem literarischen Werk von Dominik Tatarka, einem der wichtigsten slowakischen Schriftsteller*innen der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Nach der Okkupation 1968 wurde Dominik Tatarka wegen seiner politischen Ansichten und seiner Abweichung von der staats-, partei- und sowjetfreundlichen Ideologie verfolgt, mit Schreibverbot belegt und stand bis zu seinem Tod im Mai 1989, nur wenige Monate vor der Samtenen Revolution und dem Sturz des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei, unter ständiger Beobachtung des staatlichen Geheimdienstes. Die Inszenierung ist zugleich die Uraufführung seines Werks auf einer professionellen Theaterbühne.
Dieses Projekt setzt sich aktiv mit den Themen Normalisierung, Zensur, Russophilie und Einmischung der herrschenden Partei in die Kultur auseinander. Es arbeitet mit den Themen Kollaboration, Arroganz der Beamten und Unterdrückung der Grundrechte der Bürger*innen. Ich hätte nicht erwartet, dass Themen, die eigentlich nur als Warnung oder „Entmystifizierung der sozialistischen Idylle“ gedacht waren, zu Themen werden, die das aktuelle politische Geschehen in der Slowakei direkt kommentieren und aktiv kritisieren. Es ist menschlich traurig, aber künstlerisch äußerst aufregend. Es ist etwas sehr Aktuelles, sehr Brennendes und Unmittelbares.
Werden du und dein Team die Arbeit daran aufnehmen können?
Das ist etwas, worauf ich mit meinem Team im Moment wirklich nur hoffen kann – auch wenn alle Unterlagen eingereicht, die Verträge unterschrieben sind und die Besetzung steht. Wir wissen noch nicht, wer den Posten des Generaldirektors übernehmen wird, wie weit er sich in die Inhalte der Projekte einmischen wird und ob das Theaterpersonal streiken wird. Wenn dieses Projekt, durch direkte Eingriffe in die Souveränität, Freiheit und Dramaturgie des Theaters, zensiert, verhindert oder gar unmöglich gemacht wird, dann muss ich die Integrität meiner künstlerischen Arbeit und meiner politischen Überzeugungen verteidigen. Kurz gesagt, bei der derzeitigen destruktiven rechten Politik des Kulturministeriums kann ich für seine eigenen Vertreter*innen kein von ihnen genehmigtes bzw. erlaubtes „Abendprogramm“ gestalten. Ich bin absolut nicht einverstanden mit ihren regressiven, ja totalitären Vorstellungen von Theater und Kunst an sich. Ich bin für kurze Zeit aus dem deutschsprachigen Raum in die Slowakei zurückgekehrt, um unser Theater mit ganz Europa zu verbinden. Meine kommenden Arbeiten und internationalen Koproduktionen – wenn sie zustande kommen – sollten ein Beweis dafür sein. Alles, was jetzt passiert, widerspricht dieser Absicht. Vielleicht wird dieses Interview der Grund dafür sein, dass ich bei der neuen staatsnahen Direktion auf die schwarze Liste gesetzt werde.
Wie könnte diese Verteidigung, von der du sprichst, aussehen?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Einerseits kann man trotz der möglicherweise bevorstehenden Zensur weiterarbeiten und versuchen, eine gute Inszenierung auf die Beine zu stellen. Wenn es jedoch wirklich zu massiven Eingriffen in die Arbeit kommt, wäre ich aber eher geneigt, zu sagen, dass ich die Uraufführung unter diesen Umständen nicht machen kann. Es wäre natürlich unglaublich traurig für alle Beteiligten, gleichzeitig geht es in der Arbeit um einen Autor, der zu Lebzeiten bereits Zensur erlebt hat. Es geht einfach nicht, dass sein Werk 35 Jahre nach seinem Tod wieder zensuriert wird. Im Grunde wissen wir nicht, was in den nächsten zwei Monaten passieren wird.
Kannst du uns ein bisschen etwas über das Slowakische Nationaltheater und seine Arbeit erzählen? Was macht das Haus aus bzw. was hat es vor diesem Einschnitt ausgemacht?
Es ist fast unglaublich, wie schnell sich das Slowakische Nationaltheater mit seinen Projekten und Aktivitäten der Welt geöffnet hat. Der Beweis dafür sind die Reaktionen der Koproduktionspartner*innen und der internationalen Kulturlandschaft auf die Handlungen und Aussagen der gegenwärtigen Kulturpolitik der Regierung. Ich weiß, dass auch neue Wege der Verbindung zwischen den Sparten geplant waren. Meiner Meinung nach ist es diesem Theater als Mehrspartenhaus wirklich gelungen, ein vielfältiges, facettenreiches Theater zu sein, das sowohl konservative als auch progressive, aber immer künstlerische Positionen vertritt. Es hat ein hochkarätiges Mehrgenerationen-Ensemble von Schauspieler*innen, die sich mit diesem Theater entwickelt haben und auch mit ihm gewachsen sind. Es hat auch das Interesse an neuen Sichtweisen, neuen Methoden, anderen Stimmen in der Gesellschaft geweckt. Wegen einer Inszenierung dieses Theaters habe ich mit zwölf Jahren beschlossen, Theater zu machen, koste es, was es wolle. Ich hoffe, dass dieses Theater mit Hilfe von unkorrumpierbaren Künstler*innen seine Freiheit behält. Und wenn nicht, wird es sie sich eines Tages mit unserer Hilfe zurückerobern.